15.08.2022

Interview: The Archive Collection
In unserem OPEN UP! THE ARCHIVE COLLECTION ist dieses Interview erschienen, es beschreibt die Kooperation zwischen C&A und unseren Kolleg*innen aus Archiv und Sammlung der Draiflessen Collection.

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Wie alles begann


Wie ist die Archive Collection entstanden?
Amanda Tiran 
Gerne gebe ich einen Überblick, wie alles begann: Im November 2020 kamen wir bei C&A zu einem Brainstorming über eine Vintage-Kollektion zusammen. Wir wollten etwas Besonderes für das 180-jährige Bestehen des Unternehmens im Jahr 2021 finden. So begaben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit, und jemand brachte seinen ersten Skianzug von C&A ins Spiel. Diese waren vor allem in den 1980er-Jahren sehr beliebt ...

Reinhard Brodel 
... und dann kamen uns die unvergesslichen Werbespots in den Sinn, die für alle Arten von Kleidung produziert wurden. Ein Kollege brachte uns daraufhin mit dem Team der Draiflessen Collection in Verbindung, weil sie über eine umfangreiche Sammlung von C&A-Archivmaterial verfügt.

Jens Brokfeld 
Von dem Projekt, unsere historischen Anzeigen und die Textilsammlung wieder zum Leben zu erwecken, waren wir sofort begeistert. Also vereinbarten wir ein Onlinetreffen, um zu besprechen, wonach Amanda und Reinhard Ausschau hielten und was wir aus unseren Beständen anbieten könnten.

Maria Spitz 
Die wichtigsten Quellen, die wir für dieses Projekt verwendet haben, waren Werbemappen, die ursprünglich von der C&A-Marketingabteilung erstellt wurden, sowie historische Werbespots und Modekollektionen. Schon 2006 haben wir mit dem Heritage-Projekt begonnen. Glücklicherweise sind viele spannende Stücke aus der Vergangenheit, zum Beispiel besagte Werbemappen, erhalten geblieben. Seither arbeiten wir systematisch am Aufbau einer Sammlung von historischer Kleidung und von ganz aktuellen Modellen – insbesondere von C&A. Unser Schwerpunkt liegt dabei nicht nur auf Damenmode, sondern auf Kleidung für die ganze Familie. Das macht diese Kollektion so besonders.

Julia Cwojdzinski 
Wir verfügen derzeit über insgesamt fast 4.000 Kleidungsstücke und Accessoires. Unsere Sammlung von Werbemappen enthält Printanzeigen aus den Jahren 1911 bis 2002. Beim Durchblättern kann man die verschiedenen Zeiten, die verschiedenen Jahrzehnte förmlich spüren.

Hatte das Designteam bereits eine feste Vorstellung von den Materialien, die es gerne benutzen wollte?
Amanda Tiran 
Eigentlich nicht, nein. Am Anfang haben wir alle möglichen Informationen gesammelt. Wir besuchten Vintage-Läden und fanden viele Informationen über frühere C&A-Stile im Internet. Wir hatten zunächst überlegt, etwa 30 Kollektionen in die Sammlung aufzunehmen, aber im Laufe der Zeit haben wir es schließlich auf fünf Themen eingegrenzt.

Reinhard Brodel 
Wir haben außerdem versucht, den aktuellen Style und Zeitgeist einzufangen. Wir sahen auf der Straße etwa viele Leute, die Jeansstoff trugen, und wollten etwas kreieren, das Inspirationen aus der Vergangenheit mit einem modernen Look verbindet.

Jens Brokfeld 
Das Designteam hat Moodboards erstellt, die Stile, Farben und Materialien enthielten, die sie besonders hervorheben wollten. So wussten wir, worauf wir bei der Kollektion achten mussten. 
Bei diesem Projekt war die visuelle Begutachtung von Anzeigen und Modeartikeln von großer Bedeutung. Das Designteam von C&A hatte nicht vor, ein bestimmtes Jahrzehnt im Detail nachzuahmen, sondern suchte nach Inspirationen über Grenzen hinweg, um etwas Neues zu erschaffen. 
Die Recherche in einer kuratierten Sammlung kann dabei allerdings sehr spezifisch sein. Sie wird mithilfe sogenannter Metadaten durchgeführt. Dabei handelt es sich um Informationen über einen Gegenstand, etwa seine Herkunft, den Zeitpunkt seiner Entstehung oder Schlagwörter, die ihn beschreiben. So konnten wir die Menge des Materials, das wir näher durchsuchen wollten, eingrenzen.  
Je mehr wir über den Kontext eines Objekts wissen, desto besser werden die Suchergebnisse. Schriftliche Dokumente liefern oft selbst wertvolle Hinweise: zum Beispiel die Datumsangabe auf einer Anzeige.

Julia Cwojdzinski
Im Bereich der historischen Mode sieht das etwas anders aus. Um mehr über ein Kleidungsstück herauszufinden, insbesondere wenn das Etikett fehlt oder von den Vorbesitzer*innen entfernt wurde, muss man das Objekt, das Material, den Schnitt respektive Stil „lesen“ und diese Informationen mit anderen Quellen wie Anzeigen oder Fotos abgleichen. Zum Glück haben wir in der Draiflessen Collection alle Informationen in einer Datenbank. So konnten wir selbst in Zeiten von Covid an diesem spannenden Projekt arbeiten. 
Das Etikett ist generell sehr wichtig, weil man dank ihm nicht nur die Marke, sondern auch den ungefähren Herstellungszeitpunkt eines Kleidungsstückes erkennen kann. Das ist möglich, weil wir das spezifische Aussehen der Etiketten aus bestimmten Jahrzehnten kennen. 

Maria Spitz 
Übrigens: Die Etikettierung von C&A-Kleidung begann erst in den 1930er-Jahren mit der Marke formtreu. Das charakteristische Merkmal der formtreu-Mäntel und -Jacken war eine elastische Polsterung aus Rosshaar, die für guten Sitz sorgte und sehr formstabil blieb. Sie erfreute sich großer Beliebtheit und ist bis heute eine bekannte Marke der damaligen Zeit.


"Teenanger im Romatik-Look", C&A Werbeanzeige, 1981 | © Draiflessen Collection

Stile: Linear oder zyklisch?


Wie haben Sie die Stile aus der Vergangenheit mit den aktuellen Trends kombiniert? Vermutlich kann man sie nicht einfach eins zu eins übertragen.
Amanda Tiran 
Das kommt ganz darauf an. Einige Themen haben wir tatsächlich auf sehr ähnliche Weise umgesetzt. Bei anderen nahmen wir subtile Anpassungen vor. Ein gutes Beispiel sind etwa die Schlaghosen, die in den 1970er-Jahren sehr beliebt waren. Wir stellen sie auch heute noch her, nur sind sie jetzt etwas schmaler. So wirken sie moderner und passen besser in die heutige Zeit. Generell erleben wir gerade eine Renaissance von Modellen aus den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren auf dem Markt. Auch das Jahr 2000 ist im Moment ein großes Thema.

Reinhard Brodel
Man kann sich nun die Frage stellen, ob die Mode zyklisch oder linear verläuft. Ich würde sagen, beides trifft zu, denn ich glaube, dass sie nie wieder so wird wie früher. Zugleich denke ich, dass wir uns bei der Entwicklung von Stoffen erheblich verbessert haben. Es ist nämlich äußerst innovativ, über wirklich neue Stoffe zu verfügen, die noch bequemer sind.

Haben Sie den Eindruck, dass die ikonischen Stile der Vergangenheit allmählich in Vergessenheit geraten, weil alle ihren eigenen persönlichen Stil kreieren? Und was bedeutet das für eine Modekollektion?
Reinhard Brodel
Ein interessanter Aspekt ist aus meiner Sicht, dass heutzutage viele Dinge parallel passieren, während man in der Vergangenheit oft das Gefühl hatte, dass die Mode diktiert wurde. Es gab einen bestimmten Stil für einen bestimmten Moment oder sogar für eine längere Zeit, aber heute hat man den Eindruck, dass vieles parallel stattfindet und so wirklich eine Frage des persönlichen Stils ist. Jede und jeder sucht sich das heraus, was für sie oder ihn am besten passt.  
In meiner Wahrnehmung hat das mit der Jahrtausendwende begonnen. Vielleicht sogar schon ein bisschen früher, in den 1990er-Jahren. Ich denke, in den 1950er- bis 1980er-Jahren gab es noch eine Menge Vorgaben. Denn damals gab es den Minirock oder das Minikleid, und man hatte keine andere Wahl: Man musste das tragen, ob man nun die richtigen Beine dafür hatte oder nicht.

Amanda Tiran 
Ich bin sogar der Meinung, dass in den letzten zehn Jahren, als Influencer*innen ein so großes Thema und ein wichtiger Teil der Marketingstrategien geworden sind, der persönliche Stil so richtig an Bedeutung gewonnen hat. Jetzt kann man in Geschäften, bei verschiedenen Einzelhändler*innen, einkaufen gehen und Dinge aus allen möglichen Jahrzehnten sehen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein bestimmtes Produkt; manchmal gibt es, wie eine Zeitkapsel, eine Kollektion, die sehr nach den 1970er-Jahren aussieht, und dann wiederum gibt es eine andere, die den Blouson der 1980er-Jahre aufgreift. Also ja, wie Reinhard schon sagte, auch ich denke, dass heutzutage alles sehr flexibel ist.

Maria Spitz 
Ja, das stimmt. Für unseren Sammlungsbestand bin ich stets auf der Suche nach den ikonischsten Stücken. Dabei sind Kleidung und Accessoires vielleicht am besten geeignet, das Gefühl einer bestimmten Zeit wieder aufleben zu lassen. Und − da bin ich mir sicher − das wird ebenso mit den einzelnen aktuellen Stilen möglich sein, denn es gibt immer etwas, das für heute oder morgen typisch bleibt. Ebenjene spezifische Kombination aus Frisuren, Make-up, Kleidung und wie die Teile getragen und kombiniert werden. Es reicht also aus meiner Sicht nicht aus, Einzelstücke für eine museale Sammlung von Mode zusammenzutragen, sondern „Stile“ mit Kleidungsstücken, die einen Zeitgeist verkörpern, sodass die Modehistoriker*innen der nächsten Generation die ikonischen Stücke, die sie suchen, in der Kollektion der Draiflessen Collection finden werden. 


The Archive Collection, C&A | © Zissou

Die Zusammenarbeit


Wie sah der eigentliche Arbeitsprozess aus?
Jens Brokfeld
Jede bzw. jeder arbeitet anders, je nach ihrem bzw. seinem beruflichen Hintergrund. Bei einem Archiv und einer Museumssammlung ist es wichtig, eine gute Struktur zu haben, klare Unterscheidungen zu treffen und organisiert zu sein. Aber irgendwann möchte man etwas Neues erschaffen, und da muss man gewissermaßen einen Schritt nach vorne wagen. Man braucht Vorstellungskraft, um zu erkennen, welches Potenzial in den Archiven schlummert ...

Maria Spitz
... und dann fängt man an, über Forschungsprojekte und Ausstellungen nachzudenken. 

Reinhard Brodel
Es ist interessant, was Sie über Struktur und Organisation sagen. Design bedeutet am Anfang oft Chaos. Ja, das ist tatsächlich so, denn wir haben eine Menge Ideen, eine Menge Dinge auf dem Tisch. Aber irgendwann muss man es dann eingrenzen und mit einer Reihe von Akteur*innen einen Plan entwickeln. Deshalb arbeiten wir mit ganz verschiedenen Leuten in einem Team. Und alle zusammen können dann etwas Schönes und Besonderes erschaffen.

Jens Brokfeld
Apropos Zusammenarbeit: Ich denke, dass sich die Art und Weise, wie wir bei Projekten wie diesem kooperieren, in Zeiten von Covid ziemlich verändert hat. Alle unsere Treffen fanden natürlich online statt und ein Großteil der Recherchen in unseren Archiven wurde per Remotezugriff per Computer durchgeführt. Glücklicherweise waren die meisten historischen Anzeigen bereits digitalisiert. Die Arbeit mit elektronischen Daten hat viele Vorteile, auch wenn dies die Originale nicht ersetzen kann. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass die Verbreitung digitaler Bilder die Wertschätzung für die physischen Artefakte, das heißt für die materiellen Eigenschaften von Textilien und Papier sowie für ihre Aura der Authentizität, sogar noch erhöht.


Ausstellungsansicht THE ARCHIVE COLLECTION | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge

Lieblingskleidungsstücke


Was sind Ihre Lieblingskleidungsstücke aus dieser Kollektion?
Amanda Tiran 
Ach du meine Güte, da gibt es so einige. Wir haben eine Mantelkollektion gemacht, da ist ein wirklich schönes Stück dabei. Ich meine diesen grünen Trenchcoat. Genau genommen wurden wir dabei wohl von den Entwürfen aus den 1940er-Jahren inspiriert. Ich versuche gerade, gedanklich durch das Archiv zu blättern ... Jedenfalls haben wir diesen khakigrünen Trenchcoat entworfen, der zu meinen Favoriten gehört.  
Außerdem liebe ich den Jumpsuit: diesen schwarzen Jeans-Jumpsuit mit Säurewaschung, den wir für die Jinglers-Denim-Kollektion entwickelt haben.

Reinhard Brodel
Mein Lieblingsstück ist gerade in der Post, ich warte darauf. Es ist dieser wunderbare dunkelblaue Skioverall für Männer.

Maria Spitz
Ja, ich finde vor allem den roten Skioverall toll, der so sehr nach 1970er aussieht − mein Lieblingsstück für Frauen. Und bei den Männern gefällt mir der karierte Zweireiher am besten: Er ist sehr formtreu.

Julia Cwojdzinski
Mein Lieblingsstück habe ich sogar für mich selbst gekauft: eine Jacke aus der Jinglers Archive Collection. Sie ist offensichtlich von den 1980er-Jahren inspiriert mit ihren breiten Schultern, dem taillierten Schnitt und dem isometrischen Reißverschluss. Gleichzeitig sieht sie aber sehr modern aus − eine hippe Jacke von heute. Ich musste sie einfach haben! Und zwar die schwarze Version. Für mich ist sie ein perfektes Beispiel dafür, wie die Designer*innen einen ikonischen Stil der Vergangenheit mit einer frischen Idee kombiniert haben, um etwas Neues und Trendiges zu erschaffen. 

Jens Brokfeld
Ich hingegen mag die eher klassischen Stile. Es ist schön zu sehen, dass sie nie aus der Mode kommen. Die Mäntel der Archive Collection zum Beispiel ... Dass hier der Stil fortgeführt wird, ist unübersehbar, und doch haben die Designer*innen ihnen eine frische Note verliehen. Das wäre etwas für mich. 


Ausstellungsansicht THE ARCHIVE COLLECTION | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge

Amanda Tiran, United Leader Product Manager - Mindset-Team - C&A Buying GmbH & Co.KG

Reinhard Brodel, Stylist Clockhouse - C&A Buying GmbH & Co.KG

Jens Brokfeld, Archivar, Draiflessen Collection

Dr. Maria Spitz, Kuratorin für Mode und Textiles, Draiflessen Collection

Dr. Julia Cwojdzinski, Sammlungsmanagement, Draiflessen Collection

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