26.10.2017

Fragen an … die Ausstellungsarchitektin, Astrid Michaelis

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In gewisser Weise ist die gut 900 qm große Sonderausstellungsfläche der Draiflessen Collection wie ein unbeschriebenes Blatt, das für jede Ausstellung mithilfe der Architektur und natürlich vor allem der ausgestellten Kunstwerke neu „beschrieben“ wird. Die Fläche verwandelt sich so mit jeder Ausstellung neu.
Nicht nur die Kunst spielt bei einer Ausstellung eine ausschlaggebende Rolle, sondern eben auch die Architektur. Sie ist zentral für die adäquate Präsentation der Kunstwerke, die dabei immer im Vordergrund stehen. Die Architektur wirkt im Hintergrund und stiehlt der Kunst nicht die Schau. In der Draiflessen Collection die Architektur für den vorgegebenen Inhalt mittels eines flexiblen Stellwandsystems gestaltet und muss nicht einer gegebenen Architektur entsprechend präsentiert werden.
Die Ideen für die Architektur liefert seit der ersten Sonderausstellung 2010 die Ausstellungsarchitektin und Szenografin Astrid Michaelis aus Münster. Wir haben sie zu ihrer Arbeit im Allgemeinen und zur kommenden Ausstellung „Dem Bild gegenüber“ im Besonderen befragt.

Architektur „Dem Bild gegenüber“ | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Roman März

Wie und warum wird man eigentlich Ausstellungsarchitektin?
Heute kann man Ausstellungarchitektur und Szenografie studieren. Als ich 2003 die erste Ausstellung entwickelte, hatte ich grade angefangen, in einer Eventagentur zu arbeiten. Ich war ausgebildete klassische Tänzerin, mit einem Zusatzstudium Bildhauerei und Malerei, einem abgeschlossenen Studium als Diplomingenieurin und arbeitete als Architektin – mich reizte eine neue Aufgabe. Zusätzliches Handwerk lernte ich in einer Agentur, die Produktpräsentationen und Veranstaltungen für Markenunternehmen konzipierte und organisierte, das war: Zuhören, Aufgabenstellungen erfassen, Konzepte, Ideen und Kreationen entwickeln, die das Produkt zielgerichtet in den Mittelpunkt setzen, und dazu Räume zu inszenieren, die die Inhalte transportieren. Langjährige Auseinandersetzung mit Proportionslehre, Symbolik, Farbgestaltung, Geometrie und Geomantie (Anm.: Geomantie ist die Kunst, Lebensräume nach den Bedürfnissen der menschlichen Seele im Einklang mit der Ortskraft zu gestalten) begleiteten immer meine kreative Arbeit. Das hat mir das notwendige Wissen vermittelt, meinem Anspruch auf eine ganzheitliche Architektur und Szenografie näher zu kommen. So hat unser Atelier im Laufe der Jahre ein breites Portfolio an unterschiedlichsten Projekten für Kunstausstellungen, Museums- und Sammlungspräsentationen, Produktpräsentationen, Fachplanungen für Bibliotheken, Innenraumgestaltung und Markenkommunikation sowie Veranstaltungen für Unternehmen entwickelt.

Wie beginnt die Auseinandersetzung mit einem solchen Projekt wie der Ausstellung „Dem Bild gegenüber“? Was ist der erste Schritt?
Am Anfang steht immer das Bewusstsein, einen Raum zu schaffen, der den menschlichen Bedürfnissen wie auch den thematischen Aufgabenstellungen entspricht. Der erste Schritt ist also, Thema und Aufgabenstellung genau zu erfassen. Erst dann können raumbildende Maßnahmen entwickelt werden, die Architektur mit der Szenografie, also die Inszenierung der gewünschten Objekte im architektonischen Raum, zu verbinden. Immer im Hinblick auf die spezifische Aufgabe und der Grundidee heraus entwickelt.

Ansichtsplan | © Astrid Michaelis
Blick in die Ausstellung „Dem Bild gegenüber“ | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Henning Rogge

Wie weit im Voraus habt ihr, die Kuratorinnen  und du, mit der Planung begonnen?
Gut eineinhalb Jahre vor Eröffnung. Die Planung beginnt für mich mit eingehender inhaltlicher Recherche zum Ausstellungsthema und zu den Exponaten. Auf dieser Basis haben wir das erste Konzept entwickelt, uns Gedanken zu Architektur und Szenografie gemacht, auch hinsichtlich der damit einhergehenden Farb- und Lichtgestaltung. Es folgten der intensive Entwurfs- und Planungsprozess für die spätere Umsetzung mittels Zeichnungen, 3D-Modellen sowie auch mit dem Bau des faktischen Modells – alles mit dem Ziel einer künstlerisch spannungsvollen Gesamtdramaturgie.
Sobald der finale Entwurf stand, folgte die Ausführungsplanung aller Elemente wie Wandsysteme, Vitrinenbau oder Metallbauarbeiten. Dazu gehören auch die Konzeption der Ausstellungsgrafik, also zum Beispiel Beschriftungen und nicht zuletzt die Steuerung aller Gewerke, also das Projektmanagement, Zeitmanagement und Controlling aller Partner, die Ausschreibung zuverlässiger und fachkundiger Partnerunternehmen und Dienstleister. Erforderlich und selbstverständlich ist für mich immer und zu allen Projektschritten die enge Zusammenarbeit mit den Kuratoren auch mit allen verantwortlichen Beteiligten im Haus, wie dem Technischen Leiter und dem Werkstattleiter.

Wie hat sich die Ausstellungsarchitektur im Prozess gestaltet?
Wir haben uns wöchentlich zu Teammeetings und Absprachen zusammengesetzt. Dies ist für eine Gesamtumsetzung produktiv und notwendig, denn so konnten wir uns gegenseitig befruchten und gemeinsam entwickeln.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellungsarchitektur? Z. B. Sektionen oder Blickachsen …
Die bewusste Auflösung der Proportionen und Ordnungsstrukturen: Sie schaffen ganz außergewöhnliche Raumwirkungen und -erfahrungen.

Blick in die Ausstellung „Dem Bild gegenüber“ | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Henning Rogge

Gab es eine besondere Herausforderung bei dieser Konzeption?
Der Raum für die Arbeit „The Forty Part of Motet“ von Janet Cardiff stellte uns vor eine besondere Aufgabe. Zum einen die geforderte und notwendige stützenlose Größe von 11 x 18 m und deren Platzierung in der Gesamtinszenierung in der Ausstellungshalle und zum anderen musste für die größtmögliche Schallisolierung in alle Richtungen gesorgt werden.

Blick in die Ausstellung: Janet Cardiff, The Forty Part Motet, 2001 | © Courtesy of the artist, Foto/photo: Henning Rogge

Kannst du dich an einen ganz besonderen Moment zwischen dir und einem Kunstwerk erinnern?
Ja! In der Ausstellung „Credo – Meisterwerke der Glaubenskunst“, die vom 6. Oktober 2010 bis zum 20. Januar 2001 hier in der Draiflessen Collection zu sehen war. Sie zeigte über 100 Exponate vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Den Schwerpunkt bildeten Werke von Peter Paul Rubens und seinem Atelier. Ergänzt wurden diese durch weitere Gemälde, Skulpturen, Grafiken und kunstgewerbliche Objekte bedeutender Meister wie El Greco und Jan Brueghel. Ich habe beim Einleuchten dieser Kunstwerke mitgewirkt und durfte ihnen daher in einer langen und ruhigen Nacht sehr nahe sein. Das war wirklich ein ganz besonderer und berührender Moment für mich.

Hast du ein Lieblingsstück in dieser Ausstellung?
Das „Tall Glass Spinther“ von James Turrell. Diese Arbeit lässt mich auf intensive und einnehmende Weise in Farbe und Licht eintauchen.

Blick in die Ausstellung, James Turrell, Tall Glass Spinther, 2007 | © Courtesy Häusler Contemporary München/Zürich, Foto: Henning Rogge

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