20.04.2018

Der erste Slow Art Day in der Draiflessen Collection

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Die Idee der langsamen, entschleunigten Kunstbetrachtung ist nicht neu. Immer wieder in den vergangenen Jahren machten Museumspädagogen wie Kunstwissenschaftler die Beobachtung, dass die Verweildauer eines Museumsbesuchers vor einem Kunstwerk maximal zwischen 17 und 19 Sekunden lag – wurde die Objektbeschreibung gelesen, blieb für das Werk häufig noch weniger Zeit übrig. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig. Fragt man einen Besucher, warum er sich nicht mehr Zeit nehme, bekommt man häufig die Antwort, man wolle ja schließlich alle Werke sehen, und so viel Zeit hätte man dann doch nicht. Auch die Konzentration auf bekanntere Werke wird ins Feld geführt, aber objektiv gesehen liegt die Betrachtungsdauer dort auch nicht signifikant höher. Als Museumsmitarbeiter findet man das natürlich höchst bedauerlich!

Slow Art Day | © Draiflessen Collection

Zeit für Kunst

Ein Trend, der 2008 in New York eher zufällig entstand, wirkt dem entgegen: Kunst wird bewusst länger betrachtet, sodass man nur wenige Werke der Ausstellung sehen wird, dafür umso intensiver. Was im ersten Moment vielleicht wie eine Einschränkung wirkt, stellt sich in der Praxis als wunderbares Mittel zur ernsthaften Auseinandersetzung mit den eigenen, individuellen Erfahrungen und Einstellungen heraus. In der Draiflessen Collection haben wir diese Methode der Kunstbetrachtung am 14. April 2018, dem internationalen „Slow Art Day“, zu ersten Mal selber erprobt. Nach der vorherigen ersten Kontaktaufnahme mit den Organisatoren in New York und einem sehr freundlichen Willkommen von dort war uns klar, dass wir unbedingt daran teilnehmen wollten. Gesagt, getan!

Slow Art Day | © Draiflessen Collection

Slow Art Day – Premiere in Draiflessen

Der 14 April war ein Samstag. Nicht der klassische Museumsbesuchstag, aber eben der Tag, an dem rund 205 Museen auf der ganzen Welt den Slow Art Day begehen würden. Auf der Homepage „Slow Art Day“ waren schon frühmorgens ein warmes Willkommen und gute Wünsche für die Kollegen in Australien zu lesen, die den Anfang machten.

Ich wartete gespannt auf vier angemeldete erwachsene Gäste, bereitete Kaffee und Kekse vor für eine kurze Vorbesprechung und ging im Kopf noch einmal die einzelnen Schritte durch: miteinander sprechen, kurz kennenlernen, in die Ausstellung gehen, Objekte betrachten, dann an einem ruhigen Ort treffen und miteinander über die jeweiligen Erfahrungen sprechen. Meine Gäste kamen pünktlich, und um es kurz zu machen: Es war einfach schön. Zwei Ehepaare mittleren Alters – eine Familie, wie sich im Laufe des folgenden Gesprächs herausstellte – betraten das Museumsfoyer, schauten sich neugierig um und wurden an den bereits reservierten Tisch im Museumscafé gelotst. Wir tranken einen Kaffee zusammen, und ich erklärte den Ablauf. Meine leichte Nervosität wich einer gespannten Freude, denn das Gespräch verlief in einer ruhigen Freundlichkeit und die Gäste brachten viel Neugier und Interesse an der Methode mit.

Slow Art Day | © Draiflessen Collection

Kontaktaufnahme mit Kunst

Die Ausstellung „Der Fall der Sterne“ ist in drei verschiedene Bereiche beziehungsweise Räume aufgeteilt. Jeder Künstler hat einen eigenen Raum: Dürer und Gerson mit ihren Drucken außen, dazwischen ist der Videoraum mit der Installation von Julian Rosefeldt. Die Installation ist in der ganzen Ausstellung hörbar, zeitweise sogar sehr deutlich. Nach einem kurzen Rundgang suchte jeder Gast sich ein Werk aus. Interessant war, dass sich zufällig alle nach dem Überblicksrundgang durch die Ausstellungsräume im Videoraum einfanden, sich dort auf die Sitzsäcke setzten oder legten und wir alle gemeinsam eine 20-minütige Sequenz des Werks „In The Land Of Drought“ anschauten. Mit – wie wir im nachfolgenden Gespräch feststellten – ganz unterschiedlichen Auswirkungen.

Slow Art Day | © Draiflessen Collection

Das Gespräch

Nach einem schweigend genossenen ersten Schluck Wasser schauten wir uns alle erwartungsvoll an. Ein Gast brach das Schweigen und dann begannen alle zu erzählen. Erinnerungen an eigene räumliche Erfahrungen wurden genannt. So war den Gästen zum Beispiel einer der Drehorte (Duisburg) der Videoinstallation aus eigener Anschauung bekannt und sie erzählten von einem gemeinsamen Tag dort. Aber auch die dem Werk eigene Ästhetik fand Erwähnung; auch Vergleiche mit dem heimischen Garten und den wider Erwarten immer wieder aus der trockenen Erde sprießenden Pflanzen im Frühling wurden gezogen. Es war ein lebhaftes, sehr abwechslungsreiches Gespräch, das zeitweise philosophisch, aber auch ganz lebensnah wurde. Auch die Erfahrung mit der Selbstbeobachtung während der Betrachtung wurde thematisiert. Dort gab es ganz unterschiedliche Erfahrungen von Entspannung bis Spannung. Die gezeigten Bilder wurden ebenfalls unterschiedlich aufgenommen: mal ganz klar einem Weltuntergang zugeordnet, mal als Hoffnungsschimmer interpretiert. Zusammengefasst kamen wir in unserem sehr bereichernden Gespräch – ausgehend von Julian Rosefeldts Videoinstallation – zur Apokalypse im weltlichen Sinn, zu den Ägyptern, den Dinosauriern und der Archäologie, Gartenbau und individuellen Entspannungstechniken und dann über Umwege durch die römische Politik des ersten Jahrhunderts zurück zu den Bildern und Klängen der Videoinstallation. Das Gespräch dauerte wesentlich länger als geplant.

Slow Art Day | © Slow Art Day

Das machen wir wieder!

Im kommenden Jahr werden wir wieder dabei sein. Die Gäste gaben noch vor Ort ein sehr positives Feedback. Ich bin nach der Veranstaltung nach Hause gefahren und fühlte mich bereichert und beschenkt. Ein so unerwartet persönliches Gespräch mit interessanten und interessierten Menschen ist einfach ein Geschenk und nicht selbstverständlich. Herzliche Grüße nach Westerkappeln an diese allerersten Slow-Art-Gäste in der Draiflessen Collection Mettingen.


Bericht unserer Museumspädagogin Tanja Frederike Revermann

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