04.05.2023

DER STAND DER DINGE? Die Themeninseln

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Kaum ein anderer Begriff durchlief in den letzten Jahren eine derart schillernde Karriere wie Nachhaltigkeit. Täglich in den Medien gebraucht, bündeln sich unter diesem Schlagwort zahllose brisante Kontexte und drängende Fragen, die sich mit unserer (Krisen-)Gegenwart verbinden. 

Was ist globale Ressourcengerechtigkeit? Wie sehr hängen unsere individuellen Verhaltensweisen mit dem zusammen, was auf regionaler und globaler Ebene passiert? Welche Rolle spielt unser Konsumverhalten? Wie frei und chancengleich ist der Zugang zu Bildung? Wie smart ist unsere Technik, oder wie lebenswert sind unsere Städte? Was können wir aktiv ändern? Um diese und weitere hochaktuelle wie unausweichliche Fragen rund um nachhaltiges Denken und Handeln zu diskutieren, lädt die Draiflessen Collection unter dem Titel DER STAND DER DINGE? zu Vorträgen, Workshops, Führungen und Gesprächen ein. 
Luftbild der C&A-Eigenfabrikation „Herfa“ in Mettingen, Overgünne, nach 1954 | © Draiflessen Collection

Atelier

Herzstück des Rundgangs DER STAND DER DINGE? ist ein Atelier und ein Veranstaltungsbereich mit Café und Leseecke. Das Atelier als Ideenwerkstatt wird zum Ort der Begegnung, der Kreativität und Emotion. Hier geht es nicht nur um das Denken, sondern vor allem auch um das Tun, das maßgeblich für neue Erfahrungen und damit das Erzeugen von Wissen ist. Umgeben ist dieses Zentrum von den Themeninseln Konsum/Recycling, Frieden, Blühende Landschaften?, Diversität/Bildung und Draiflessen/Nachhaltiges Ausstellen. Hier werden gezielt ausgewählte künstlerische Positionen sowie Objekte präsentiert, die im Kontext von Veranstaltungen entstehen und mit denen die Vielschichtigkeit der jeweiligen Thematik aufgezeigt wird. Die Auswahl der inhaltlichen Schwerpunkte orientiert sich am Areal Draiflessen sowie an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen.
 
Die Draiflessen Collection als Museum möchte mit diesem Projekt ein Zeichen setzen und zugleich aktiv werden. Das Konzept des Rundgangs folgt dabei dem Gedanken, dass nicht nur von einer ökologischen, sozialen und ökonomischen, sondern zugleich von einer kulturellen Nachhaltigkeit auszugehen ist. Wir möchten so ein Ort des verantwortungsbewussten Handelns sein – und wir laden Sie ein, daran teilzunehmen!
Grundriss des Projekts Der Stand der Dinge? Entwurf Astrid Michaelis, Michaelis Szenografie 2023 | © Michaelis Szenografie, Münster

Konsum/Recycling

Der individuelle Konsum von Gütern produziert in Deutschland den größten Anteil des durchschnittlichen Treibhausgasausstoßes.

Die Videoarbeit Die Jagd zeigt den Künstler Christian Jankowski (* 1968), wie er im Supermarkt seine Lebensmittel mit Pfeil und Bogen schießt, statt normal einzukaufen – er spiegelt uns damit eine sehr alltägliche Praxis, allerdings auf höchst ungewöhnliche, sogar komische Art und Weise. Das Aufsuchen und Aufspüren sowie Erlegen von Lebensmitteln kennt wahrscheinlich jede*r. Jankowski transformiert diesen wenig aufregenden Akt der allgemeinen Daseinsfürsorge. Er stellt eine eigenwillig absurde Situation her und lädt uns auf distanziert-lakonische sowie spielerisch-schalkhafte Art und Weise dazu ein, über unseren alltäglichen Konsum, über Produktion und Distribution nachzudenken.

Unsichtbares Reparieren oder Visible Mending & Patching?

Das Reparieren und Verändern von Bekleidung dient(e) früher wie heute der längeren Nutzung oder Wiederverwendung von Getragenem. Gründe dafür konnten und können kaputte Stellen im Stoff, Veränderungen der Figur oder ein Aus-der-Mode-Kommen des Schnitts sein.

Von großer Könnerschaft und delikatem ästhetischem Gespür zeugen kunstvolle Mustertücher mit unterschiedlichen Stick-, Stopf-, Näh- und Flicktechniken, die seit dem 19. Jahrhundert vielfach im Handarbeitsunterricht entstanden. Seinerzeit wurde eine längere Nutzung von Bekleidung auch durch Schonung und achtsame Nutzung bewirkt: So gab es einfache Kleidung für den Alltag und bessere für den Sonntag; außerdem wurden etwa gut waschbare Schürzen oder Ärmelschoner getragen. Heute wird veränderten und reparierten Kleidungsstücken ein moderner und zugleich persönlicher Charakter zugeschrieben. Von großer Individualität sind zudem Nähkästchen, in denen all das bewahrt wurde und wird, das zum Gestalten von Kleidung von Nutzen ist. 
Christian Jankowski, Die Jagd, 1992/1997, Video, 1′11″, Farbe, Ton | © Courtesy of the artist and Klosterfelde Edition, Berlin. Leihgabe der Julia Stoschek Foundation Berlin/Düsseldorf

Frieden

Vor 375 Jahren beendete der Westfälische Frieden von Münster und Osnabrück den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648). Die große europäische Katastrophe des 17. Jahrhunderts, in deren Folge Millionen Menschen ihr Leben verloren und ganze Landstriche entvölkert wurden, ist durch die Vielzahl zeitgenössischer Überlieferungen gut dokumentiert. Es sind vor allem die grafischen Zeugnisse dieser Zeit, die uns ein besonders eindrückliches Bild der Schrecken jenes Krieges vermitteln. Im Jahr 1633 veröffentlichte der aus Nancy stammende Künstler Jacques Callot (1592–1635) unter dem Eindruck der Belagerung und Einnahme seiner Heimat Lothringen seine bekannteste Arbeit – eine 18-teilige Serie von Radierungen mit dem Titel Les Grandes misères de la guerre.

Jedes der kleinformatigen Blätter erzählt detaillierte und vor allem ungeschönte Geschichten der alltäglichen Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges. Ergänzt werden diese Szenen durch erklärende Bildunterschriften von Abt Michel de Marolles (1600–1681). Wir präsentieren Ihnen diese Serie als Reproduktionen; ein Album mit den Originalradierungen ist Teil der Liberna Collection. An Wochenenden und im Rahmen von Führungen kann das Album bei Interesse vor Ort eingesehen werden.

Parallel dazu finden Sie im Garten von Draiflessen ab Mitte Mai das räumliche Kunstwerk THE MIRROR OF PEACE der niederländischen Künstlerin Renee van Bavel (* 1981), das die Betrachter*innen mit der Einsicht konfrontiert, dass ein Leben in Frieden keine Selbstverständlichkeit ist und dass wir bewusst handeln müssen, um den Frieden zu erhalten.
Jacques Callot, Les Grandes misères de la guerre, La pendaison, 1633 | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Stephan Kube

Blühende Landschaften?

Für ein Leben auf der Erde sind Pflanzen unverzichtbar. Sie produzieren den lebensnotwendigen Sauerstoff, liefern Nahrung und Rohstoffe, finden Verwendung in der Medizin. Für Orte der Erholung sind sie unabdingbar, vermögen gar das Heimatgefühl vermitteln. Dieser Schatz der Natur erschien uns lange gewiss und grenzenlos. Zu oft aber wurde er von der Industrie, mitunter auch Einzelnen rücksichtslos genutzt und manipuliert. Bestrebt, nachhaltig zu handeln, suchen Menschen heute einen bewussteren Umgang mit dem Grün in und um ihren Lebensraum: in pestizidfreiem Blumenanbau, im Wiederentdecken vergessener Wildkräuter oder in der Umgestaltung des eigenen Balkons oder Gartens. Gleichzeitig wird weiterhin in Abläufe der Natur eingegriffen und der Klimawandel somit befeuert. Die Folgen sind meist katastrophal und über Jahre nicht wiedergutzumachen.

Um Umweltzerstörung durch menschliches Handeln geht es im Werk des Künstlers Maximilian Prüfer (* 1986). Im Zuge von Mao Zedongs propagierten ökologischen Kampagnen rottete man in manchen Regionen der chinesischen Provinz Sichuan unter anderem alle Spatzen als Getreideschädlinge aus. Eine Folge waren Insektenplagen, die Ernteausfälle und Hunger verursachten. Unter massivem Pestizideinsatz wurden dann die Insekten so sehr bekämpft, dass in diesen Gebieten seit den 1980er-Jahren Obstbäume in mühevoller Arbeit von Menschenhand bestäubt werden müssen, da es keine Bienen mehr gibt. Diesen Prozess von der Bestäubung bis zur Ernte und zum Vertrieb der Früchte auf dem Markt hält Prüfer in seinem eindringlich nüchtern erzählten Video A Gift From Him und den in Honig eingelegten Fotografien fest. 
Maximilian Prüfer, Honey pictures 4, 2018 | © Maximilian Prüfer

Diversität/Bildung

Der KunstContainer besteht seit 2006 als offenes Angebot der Heilpädagogischen Hilfe Osnabrück (HHO). Das Kunstprojekt bietet Menschen mit Assistenzbedarf einen Ort, an dem die Entdeckung und Förderung ihres jeweiligen individuellen künstlerischen Potenzials im Vordergrund steht. Begleitet wird der KunstContainer vom Künstler Christoph Seidel (* 1964).

Anfangs spendenfinanziert und mit geringem Zeit- und Personalbudget ausgestattet, konnte sich das Projekt über die Jahre zu einem festen Bestandteil der HHO entwickeln, das wöchentlich von rund 60 Beschäftigten und Teilnehmer*innen genutzt wird. Einzelne Künstler*innen konnten ihre Werke schon in nationalen und internationalen Ausstellungen präsentieren. Der KunstContainer hat sich als ein überaus erfolgreiches Instrument der kulturellen Bildung erwiesen, nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Das belegen zahlreiche Kooperationen mit verschiedenen Institutionen wie zum Beispiel mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Osnabrück oder der Draiflessen Collection in Mettingen.

Wir präsentieren Ihnen eine Werkschau verschiedener Künstler*innen bestehend aus Reproduktionen, Originalen sowie kurzen Videosequenzen, die Ihnen einen Einblick in die Arbeit des KunstContainers geben.
KunstContainer Osnabrück, Dieter Töpfer, ohne Titel, 2008 | © Dieter Töpfer

Draiflessen/Nachhaltiges Ausstellen

Wo sich die große Ausstellungsfläche der Draiflessen Collection in Mettingen befindet, wurde früher Kleidung für C&A hergestellt. Die Architektur knüpft mit den charakteristischen Sheddächern bewusst an die industrielle Tradition des Ortes an. Dabei entspricht die heutige Sonderausstellungsfläche in ihren Maßen und der Deckengestaltung dem ehemaligen Nähsaal.

Mithilfe damals innovativer und modernster Fertigungsanlagen wurden hier seit den 1950er-Jahren Herrensakkos und Anzüge hergestellt. Mit dem Niedergang der europäischen Bekleidungsindustrie schloss auch die Eigenfabrikation von C&A in Mettingen ihre Tore.

An ihrer Stelle errichtete die Familie Brenninkmeijer ab 2007 einen modernen Museums- und Veranstaltungsbau, bei dessen Planung schon damals Aspekte der Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle gespielt haben. So sorgt etwa die Hausinstallation über Erdwärme und Fotovoltaik für eine umweltfreundliche und effiziente Energieversorgung.

Aber es gibt Luft nach oben! So sollen bei der Konzeption von zukünftigen Ausstellungen der Draiflessen Collection Nachhaltigkeitskriterien noch stärker mitgedacht werden. Aber was bedeutet es, eine Ausstellung nachhaltig zu planen und umzusetzen? Wie kann ein nachhaltiges Ausstellen aussehen? Diesen Fragen wollen wir, die Ausstellungsmacher*innen, nachgehen und laden Sie, die Besucher*innen, ein, mit uns darüber zu diskutieren und Ihre Ideen einzubringen.
Luftbild der C&A-Eigenfabrikation „Herfa“ in Mettingen, Overgünne, nach 1954 | © Draiflessen Collection
Das vollständige Veranstaltungsprogramm zu DER STAND DER DINGE? finden Sie hier zum Download:

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