03.05.2018

Albrecht Dürer & Johannes Gerson

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„Popstar“ Albrecht Dürer

Albrecht Dürer (1471–1528) ist wohl ein Name, der den meisten Deutschen ein Begriff ist. Er war nicht nur Künstler, sondern auch Kunsttheoretiker und Mathematiker. Aber wer war dieser Mann, der heute als multitalentiertes Genie, sogar als Urvater der Renaissance gilt und als Erfinder des Selbstporträts, der Aktzeichnung und der Landschaftsmalerei aufgeführt wird? Wie gelangte er bereits zu Lebzeiten zu seiner großen Bekanntheit, obwohl er fast sein ganzes Leben in Nürnberg verbrachte? Er verließ Nürnberg nur für vier, dafür aber lange Reisen, die er antrat, um sich weiterzubilden und sich von anderen Künstlern und deren Kunst inspirieren zu lassen. Im Anschluss an seine vierjährige Gesellenreise (1490–1494) entlang des Oberrheins, folgten zwei Italienreisen (1494–1495, 1505–1507) und einige Jahre später eine Reise in die Niederlande (1520–1521).

Johannes Gerson und Albrecht Dürer | © Draiflessen Collection

„Apocalipsis cum figuris“, 1498

Die Apokalypse war das erste Buch, das Dürer herausbrachte, was hieß, dass er nicht nur für die 15 abgebildeten Holzschnitte verantwortlich war, sondern auch für den Druck sowie den Vertrieb. Abgedruckt ist das letzte Buch des Neuen Testaments der Bibel, die sogenannte Offenbarung des Johannes. Zunächst erschien es nur in deutscher Sprache unter dem Titel „Die heimlich offenbarung iohannis“. Im selben Jahr brachte er dann zusätzlich die lateinische Ausgabe heraus: „Apocalipsis cum figuris“.


Dürers Buch war in mehrfacher Hinsicht völlig neuartig: Schon sein Titel macht deutlich, dass die „figuris“, also die Abbildungen, zentrale Bestandteile des Werkes sind. War es bislang üblich, dass die Abbildungen klein in den Text eines Buches eingebettet wurden, stellte Dürer erstmalig die Bilder gleichberechtigt neben den Text der Heiligen Schrift. Zudem sind sie ganzseitig auf der prominenten rechten Seite abgedruckt, also auf der Seite, die der Betrachter beim Umblättern als Erstes sieht. Damit kehrte Dürer die bisherige Hierarchie von Text und Bild komplett um und machte das Bild zum Hauptakteur.


Ebenfalls neu war, dass Dürer den Apokalypse-Zyklus zusätzlich zu der Buchausgabe auch noch als einzelne Grafikserie herausbrachte. Der Hintergrund dabei war zum einen seine Geschäftstüchtigkeit – er konnte die Blätter einzeln gewinnbringender verkaufen – und zum anderen konnte er seinen Bekanntheitsgrad in ganz Europa durch die Verbreitung der einzelnen Blätter enorm steigern. Da es keine Auftragsarbeit war, konnte Dürer seiner Fantasie freien Lauf lassen und den Bibeltext nach seinen Vorstellungen bebildern: Es regnet Blut, Sterne fallen vom Himmel, gruselige Monster mit mehreren Köpfen speien Feuer und bekämpfen Erzengel Michael, die vier apokalyptischen Reiter bahnen sich auf ihren Pferden ihren Weg über am Boden liegende Menschen. Diese Lebensnähe, Unmittelbarkeit und Dramatik der Darstellung muss auf die Zeitgenossen Dürers vermutlich genauso verstörend und gleichzeitig faszinierend gewirkt haben wie auf uns heute das Werk „In the Land of Drought“ von Julian Rosefeldt.


Dürer schaffte es durch die ungewohnte und das damalige Publikum beeindruckende Größe seiner Darstellungen, den Betrachter mitten ins Geschehen zu transportieren. Die unmittelbare Nähe zwischen Betrachter und Bild entsteht aber auch aufgrund der abgebildeten Personen aus allen Gesellschaftsschichten in der damals zeitgenössischen Kleidung. Dadurch und durch die Angst vor dem Weltende aufgrund des bevorstehenden Jahrhundertwechsels war die Nachfrage nach Dürers Apokalypse sehr groß. 1511 folgte eine zweite lateinische Auflage.


Die in der Draiflessen Collection gezeigte lateinische Ausgabe von 1498 ist eines von insgesamt nur 13 erhaltenen Exemplaren. Davon sind einige unvollständig, da die Bücher oft zerschnitten wurden, da die Verkäufer – wie bereits der geschäftstüchtige Dürer – die Blätter einzeln gewinnbringender verkaufen konnten.

Der Fall der Sterne: Albrecht Dürer | © Angela von Brill

Ein völlig Unbekannter? Johannes Gerson

Im Gegensatz zu Albrecht Dürer ist der Theologe Johannes Gerson (1363–1429) wohl für die meisten Menschen ein Unbekannter, da über ihn auch nicht viel bekannt ist. Er wurde im nordfranzösischen Gerson geboren und machte den Namen seines Geburtsorts zu seinem Nachnamen. Er studierte und promovierte in Paris und wurde später Kanzler dieser Universität.


Im ausgehenden Mittelalter war die Angst der Menschen vor dem Weltende sehr groß, sodass sich über die Jahrhunderte immer mehr Texte über die vier letzten Dinge (Tod, Jüngstes Gericht, Hölle und ewige Seligkeit) entwickelten. Sie handelten oftmals von den das Weltende ankündigenden Zeichen, den sogenannten eschatologischen Zeichen. Daraus etablierte sich ab dem 9. Jahrhundert eine eigenständige Textgattung: die 15-Zeichen-Literatur, für die Gersons Werk exemplarisch in der Ausstellung „Der Fall der Sterne“ gezeigt wird.

Albrecht Dürer, Der Fall der Sterne, aus: Albrecht Dürer, Apocalipsis cu[m] figuris, Nürnberg: Anton Koberger für Albrecht Dürer, 1498 | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Henning Rogge
Johannes Gerson, Een seer schoon boecxken ghenoemt van den. Vijfthien vreesselijke bitter teekene[n]. […], Antwerpen: [Jan Dinghelsche alias Lettersnijder], 1503 | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Henning Rogge

Ein Unikat aus der Liberna Collection

Das ausgestellte Buch, die mittelniederländische Druckausgabe seines Werks, „Een seer schoon boecxken ghenoemt van den. Vijfthien vreesselijke bitter teekene[n] […]“ ist ein Unikat. Nach Erfindung der Buchdruckkunst wurde es posthum 1503 veröffentlicht, entstand aber als Handschrift bereits gut 100 Jahre zuvor. Für Gerson waren die 15 Zeichen ein probates Mittel, um den Menschen zu vermitteln, wie sie sich den Weltuntergang vorzustellen haben. Ihm ging es in erster Linie nicht um eine Mahnung an die Menschen, vielmehr war ihm wichtig, die Unausweichlichkeit des Weltuntergangs als Mahnung Gottes zu präsentieren: Der Mensch soll dementsprechend schon im Diesseits Vorsorge treffen und ein frommes, gottesfürchtiges Leben führen, um die Vollendung und letztlich Neuschöpfung einer jenseitigen, vollkommeneren Welt zu erreichen.


Obwohl nummeriert, haben die 15 Zeichen keine festgeschriebene Reihenfolge. Um diesen Gedanken aufzugreifen, haben sich die beiden Kuratorinnen der Ausstellungen, Iris Ellers und Andrea Kambartel, für eine ungewöhnliche Präsentation der 15 Zeichen entschieden (mehr zum Konzept der Ausstellung im Blogbeitrag http://www.draiflessen.com/articles/299?locale=de). Das kleine Büchlein wird in einer Vitrine präsentiert, aufgeschlagen auf der Seite mit dem von Gerson als letztes aufgeführtem Zeichen: Christus als Weltenrichter erscheint zum Jüngsten Gericht. An allen vier Wänden des Raumes befindet sich eine Leiste, auf der Reproduktionen der Zeichen stehen. Aufgrund der Anbringung in einer relativ niedrigen Höhe (1,10 m) Größe von 62 x 87 cm bekommen sie für den Besucher eine direktere Unmittelbarkeit und Nähe.


Gersons Bilder unterscheiden sich insbesondere in ihrer zeittypischen Einfachheit von Dürers bildgewaltiger Serie: Er listete die endzeitlichen Ereignisse sehr nüchtern auf und verzichtete auf Details. Allein durch die Größe – Dürers Buch misst 44,8 x 32,2 cm, Gersons lediglich 20,6 x 14,4 cm – und die seitenfüllenden Abbildungen wirkt Dürers Apokalypse-Serie auf den Betrachter sehr beeindruckend. Für den Besucher wird durch die Gegenüberstellung der Bücher von Dürer und Gerson deutlich, wie radikal Dürer die Aufteilung Text-Bild gewandelt hat, denn in Gersons Werk sind die Bilder in den Textverlauf eingebunden und bekommen so deutlich weniger Aufmerksamkeit als der Text. Allerdings legte auch Gerson Wert darauf, zu verdeutlichen, dass der Weltuntergang jede Gesellschaftsschicht betrifft und stellt sie dementsprechend auch dar.

Der Fall der Sterne: Johannes Gerson | © Draiflessen Collection

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