Weltuntergang – a neverending story?
Am 24. Juni dieses Jahres hätte die Welt untergehen sollen, dem Verschwörungstheoretiker Mathieu Jean-Marc Joseph Rodrigue zufolge. Schon die Tatsache, dass wir heute einen Blogbeitrag veröffentlichen können, widerlegt ihn. Vorsorglich hatten wir diesen Termin in unserem Begleitprogramm zur Ausstellung „Der Fall der Sterne“ vermerkt, was immerhin zeigt, wie tief wir in dem Thema stecken und auf diesen „Fall“ immerhin gedanklich vorbereitet waren.
Wir geben zu, dass wir selten den Ausfall einer Begleitveranstaltung so begrüßt haben.
Eine kleine Timeline und einige Propheten
500: Hippolyt von Rom (um 170–235), Presbyter, Autor, einer der ersten Gegenpäpste, ging davon aus, die Erde sei 5.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung geschaffen worden und werde nach 6.000 Jahren untergehen.
1000: Papst Sylvester II (950–1003) prophezeite den Wechsel von 999 auf 1000 als Weltuntergang – 1.000 Jahre später soll wiederum eine weltweite Millenniumsangst unter ganz anderen Vorzeichen herrschen.
1033: Dieses Datum für den Weltuntergang folgte nicht Christi Geburt, sondern seiner Kreuzigung im Alter von 33 Jahren.
1186: In den „Annales Marbacenses“ (Jahrbücher aus dem Stift Marbach, 1230–1375) wird über 1186 berichtet, dass ein Johannes, Astronom aus Toledo, in Briefen den Weltuntergang im September des Jahres ankündigt habe, als Folge des Umstands, dass dann sämtliche Planeten im Zeichen der Waage stehen würden. Mit dem Ende der Welt sah Johannes auch die Ankunft des Antichrist voraus.
1524: Am 1. Februar trafen sich die Planeten Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild der Fische. Astronomen sagten aufgrund dieser Konstellation eine Sintflut voraus, die es offenbar, zumindest in dem befürchteten Ausmaß, nicht gab.
1532, 1538, 1541: Diese Weltuntergangsdaten sollen von Martin Luther (1483–1546) stammen, der sich dem Thema nicht entziehen konnte. Belegt ist, dass Luther im Papst den Antichrist sah, der dem Neuen Testament zufolge der Wiederkehr Christi (und dem vorherigen Weltuntergang) vorausgehen werde – vielleicht mutmaßte er daher die unmittelbare, in seine Lebenszeit fallende zeitliche Nähe dieses Ereignisses.
1910: Am 19. Mai durchquerte die Erde den Schweif des Halley’schen Kometen, was die Angst der Zeitgenossen vor dem folgenden Weltuntergang bereits lange im Vorfeld geschürt hatte. Man befürchtete, wenn es nicht zu einem Zusammenstoß mit dem Kometen komme, so werde gleichwohl aus dessen Schweif eine lebensbedrohende Menge Cyan oder Blausäure in die Erdatmosphäre eindringen.
1975: Für dieses Jahr hatten die Zeugen Jehovas den Weltuntergang prophezeit, allerdings auch schon etliche Male zuvor. Dass er generell stattfinden wird, darüber scheint innerhalb der Glaubensgemeinschaft Konsens zu herrschen, nur auf das konkrete Datum legt man sich mittlerweile nicht mehr fest. Vermutlich lässt sich die biblische Menschheitsgeschichte und damit die Grundlage der Berechnung deren Endes schwer in konkrete Zahlen fassen …
1999: Laut der Prophezeiung des Nostradamus (1503–1566) sollte im Juli des Jahres der große Schreckenskönig vom Himmel kommen und Krieg bringen („L'an mil neuf cens nonante neuf sept mois Du ciel viendra un grand Roy d'effrayeur Resusciter le grand Roy d'Angoulmois, Avant apres Mars regner par bon heur.“)
2000: Hinsichtlich des Jahrtausendwechsels herrschte weltweit Sorge wegen des befürchteten „Millennium-Bug“, sollten doch möglicherweise die Computerzählwerke auf „00“ zurückspringen und zu Computerabstürzen in maßgeblichen Rechnersystemen führen. Das traf nicht ein, man hatte Vorsorge getroffen.
2012: Laut Maya-Kalender, von denen es wohl auch nicht nur einen geben soll, würde die Welt am 21. Dezember ihren letzten Zyklus beenden. Mittels eines Onlinevotings konnten User sogar abstimmen, ob die Welt tatsächlich untergehen werde. Roland Emmerich griff das Thema in seinem Film „2012“ auf.
2018: Mathieu Jean-Marc Joseph Rodrigue datierte das Ende der Welt auf den 24. Juni als Ergebnis von Bibeltextdeutungen und darauffolgender Berechnungen. Wortwörtlich genommen ist die Welt definitiv nicht untergegangen. Es schließt dennoch nicht aus, dass dieses Datum vielleicht für den einen oder die andere einen persönlichen Weltuntergang bedeutet hat.
2060: Sir Isaak Newton (1643–1727) setzte das Weltende auf 1.260 Jahre nach der Gründung des Heiligen Römischen Reiches (800 nach Christus) fest. „Es könnte später enden, aber ich sehe keinen Grund, dass es früher enden sollte“, so der Forscher. Beruhigend.
Der Journalist und Schriftsteller Axel Hacke fasst nach intensiver und auch streckenweise zermürbender Beschäftigung mit dem Thema Weltuntergang dessen verlässliche Popularität so zusammen: „Wissen Sie, wie tröstlich das ist?! Zu verstehen, dass die wichtigste Konstante in der Geschichte der Menschheit in Tausenden von Jahren der vergebliche Glaube an den Doomsday ist, in immer neu variierten Erzählungen, Prophezeiungen, Weissagungen, Romanen, Sachbüchern, Liedern, Gedichten. Dass wir offensichtlich also gar nicht anders können, als unser eigenes Verschwinden zu ahnen, es steckt uns einfach in den Knochen oder sonst wo.“
(Quelle: Axel Hacke, Erwarte das Unerhoffte!, SZ Magazin, 23.02.2017, URL: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/das-beste-aus-aller-welt/erwarte-das-unerhoffte-83334).
Weltuntergang – was ist das?
Diese Frage zog sich bereits durch die Konzeptionsphase der Ausstellung und des Katalogs, und sie stellt sich weiterhin in den Gesprächen mit den Besucherinnen und Besuchern von „Der Fall der Sterne“. Um es vorwegzunehmen: Geklärt haben wir die Frage nicht. Wir sehen das aber nicht als tragisch an, beschäftigt sie die Menschen doch mindestens seit fast zwei Jahrtausenden und wird immer wieder so unterschiedlich wie individuell beantwortet. Spannend bleibt sie allemal.
Im letzten Buch des Neuen Testaments beschreibt der Apostel Johannes die letzten Tage der Welt, so wie sie ihm offenbart wurden. Die Offenbarung des Johannes wird auch mit Apokalypse bezeichnet. Aus dem Griechischem stammend, bedeutet der Begriff „Enthüllung“ oder wörtlich „Entschleierung“. Im Allgemeinverständnis steht Apokalypse aber auch für sämtliche Vorstellungen von Untergang und Zusammenbruch, vom katastrophalen Ende der Welt (im faktischen wie übertragenen Sinne, individuell wie global, historisch, literarisch oder filmgeschichtlich).
Johannes‘ Offenbarung beschreibt, zugegeben grob vereinfachend zusammengefasst, vor allem die mit der Apokalypse einhergehenden Ereignisse und macht letztlich Hoffnung auf eine neue Schöpfung und ein himmlisches Jerusalem nach dem Ende der bisherigen Welt: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offenbarung, Kapitel 21).
In der jüdischen Religion beendet Gott die bisherige Welt, auf die dann eine neue Weltzeit folgt. Ebenso ist dem Islam die Vorstellung eines apokalyptischen Weltendes vertraut. Gemeinsam ist allen drei abrahamitischen Religionen also der Gedanke des Endes der (bisherigen) Welt und der Beginn einer neuen (göttlichen) Welt.
Bereits die nordische Mythologie der Edda bezeichnet mit dem Begriff Ragnarök („Schicksal der Götter“ oder „Götterende“) den Weltuntergang, hier verstanden als eine Zeit, in der die Götter im Kampf mit den Riesen sterben. Auch hier entsteht nach der alten eine neue Welt.
Den Hinduismus und den Buddhismus eint die Idee zyklisch wiederkehrender Weltzeitalter. Mit „Kalpa“ wird in beiden Religionen die Zeit bezeichnet, die das Universum, der Kosmos oder die Welt braucht, um zu entstehen, zu vergehen und dann wieder als neue Schöpfung zurückzukehren. Der Weltuntergang wird also – vereinfacht gesehen – nicht als endgültiges Ende gesehen, sondern als notwendige Voraussetzung einer Phase der Neuentstehung.
Weltuntergang als Chance
Ist Hoffnung also das entscheidende Moment? Sie wohnt offenbar in unterschiedlicher Form jeder Vorstellung vom Ende der Welt inne. Sie eint letztlich auch die künstlerischen Positionen der Ausstellung „Der Fall der Sterne“.
Das Bewusstsein einer wann auch immer bevorstehenden Apokalypse kann bedrücken und ängstigen – es kann aber auch enorm motivieren: Der Historiker Johannes Fried stellt in einem Interview von 2016 die These auf, „dass die modernen Wissenschaften aus dem Geist der Apokalypse entstanden sind. Am Anfang suchte man noch in Schafsdärmen nach der Zukunft. Später hatte man dann die Geologie, Meteorologie oder Astronomie. Heute geben wir Milliarden für die Raumforschung aus und beobachten Kometen, die der Erde nahe kommen könnten. Oder wir versuchen herauszufinden, wann das nächste Erdbeben in Kalifornien droht. Noch viel stärker als früher wollen wir wissen, was die Zukunft bringt (…) Wer sich die Apokalypse vorstellen kann, ist klar im Vorteil. Denken Sie an die Anstrengungen des Klimarats der Vereinten Nationen. Wer damit rechnet, dass die Welt in einer Klimakatastrophe untergehen könnte, ist eher motiviert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“
(Quelle: Die Apokalypse ist gut für die Menschheit, Interview mit Johannes Fried von Hannes Vollmuth, SZ, 14.06.2016, URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/kulturgeschichte-die-apokalypse-ist-gut-fuer-die-menschheit-1.3075776).
Nachtrag
Als der Titel für diesen Blogbeitrag (zunächst allerdings ohne Fragezeichen) feststand, stellte eine Kollegin die Frage, ob dieser nicht grundsätzlich voraussetze, dass die Welt niemals ende. Sehr gute Frage. Vielleicht regt das zu einer Diskussion an, die möglicherweise mit der Überlegung beginnt, was denn eigentlich „Welt“ ist.