18.03.2021

Das Leben auf See
oder: Die Havarie der Batavia

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Im 17. Jahrhundert gestaltete sich das Leben auf See weitaus unangenehmer, als die meisten von uns es sich heute vorstellen. Wir betrachten Seestücke – Malereien, Grafiken und Zeichnungen mit maritimen Motiven –, und beim Anblick windgefüllter Segel auf majestätischen Schiffen werden unsere zumeist romantischen Vorstellungen, befördert durch Spielfilme und Romane, vollends bedient. Aber was war wirklich los auf den Großseglern? Wie erging es denen, deren Namen nicht in den Chroniken stehen, weil sie keinen leitenden Posten innerhalb der Offiziersriege oder als Kaufmann innehatten oder berühmte und schlachterprobte Seehelden waren?
Eine Annäherung an diese Fragen verschafft die Lektüre zeitgenössischer Schiffsjournale, Logbücher und wissenschaftlicher Aufarbeitungen, die historische Schiffe und deren Besatzungen beschreiben. 


Frans Huys (nach Pieter Brueghel d.Ä.), Ein Viermaster und zwei Dreimaster ankern vor einer Insel mit Leuchtturm, 1560er-Jahre | © Draiflessen Collection (Tuliba), Mettingen (Foto: Stephan Kube)

Der Historiker Mike Dash zeichnet in seinem Buch „Der Untergang der Batavia“ ein lebendiges Bild vom Leben und Sterben auf einem Handelsschiff der niederländischen Ostinidien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz VOC) und bedient sich dafür vor allem Aufzeichnungen von Zeugenaussagen und Gerichtsurteilen, die nach der dramatischen Havarie des Schiffes 1629 bei den Wallaby-Inseln vor Australien in der niederländischen Heimat verhandelt und gefällt wurden.  Als typisches Handelsschiff der VOC-Flotte stach die 53 Meter lange Batavia als Dreimast-Rahsegler am 28.10.1629 von Texel aus zu ihrer Jungfernfahrt in See, bewaffnet mit 24 Kanonen . Das Schiff war Teil einer Gruppe von sieben Schiffen, die vorerst als Verband segeln sollten. 


Neubau der Batavia unter Segeln, Bugansicht | © de.wikipedia.org

Die Reise der Batavia


Das Ziel der Batavia war der Hafen von Batavia, dem heutigen Jakarta. Die Ladung bestand aus Handelsgütern, zwölf Kisten Silbermünzgeld, einem Kästchen mit wertvollen Juwelen, ferner aus Stoffen, Käse, Wein und anderen Luxusgütern für die einheimischen Herrscher im Hinterland der Festungsanlagen. Dazu kamen 130 Blöcke behauener Sandstein (!), der für den Bau und die Befestigung der Verteidigungsanlagen der niederländischen Ostindien-Kompanie benötigt wurde und nebenbei als Ballast für derartige Schiffe mit geringem Tiefgang diente. 
Mit an Bord waren Offiziere, Kaufleute, Handwerker, Seeleute und Soldaten und einige Gäste, unter ihnen auch 38 Frauen und Kinder, die mit den Familienvätern nach Batavia reisten. Das Schiff stach mit insgesamt 341 Menschen in See. Die Route sollte über Kap Hoorn führen, wo Proviant nachgeladen werden sollteSchon beim Auslaufen vor der Insel Texel in Nordholland gab es erste Probleme: Das Schiff lief auf Grund, konnte sich aber am nächsten Tag befreien und die Reise fortsetzen. Die anderen Schiffe des Verbands hatten derweil vor den Duins auf günstigen Wind gewartet und so konnte die Batavia wieder aufschließen. Nach einer sechsmonatigen Reise, die bereits zehn Menschenleben gekostet hatte, erreichte das Schiff Kap Hoorn und segelte von dort nach einem kurzen Aufenthalt für die dringendsten Reparaturen und die Proviantaufnahme weiter. Kurz vor der Küste Australiens kam es dann durch die damalige ungenaue Kartierung des Küstenverlaufs, aber auch durch eine schwere Fehleinschätzung des Kapitäns zur Havarie: Das Schiff lief 60 Meilen vor der Küste auf ein Riff


Cornelis van de Velde (Umkreis), Die Schlacht in den Downs im Oktober 1639, 17./18. Jahrhundert | © Draiflessen Collection (Liberna), Mettingen (Foto: Stephan Kube)

Die Havarie


Die typischen weißen Brandungswellen, die sich sichtbar über dem Riff abgezeichnet hattenwaren dem Ausguck zwar auch im Schein des Mondes aufgefallen, dennoch konnte das Auflaufen des Schiffes nicht mehr verhindert werden. Bei diesem Unglück vor den Wallabi-Inseln kamen weitere 20 Menschen ums Leben. Die meisten Passagiere und der größte Teil der Besatzung retteten sich auf umliegende winzige Inseln, während der Kapitän mit einigen Besatzungsmitgliedern eine Reise von 1600 Meilen in einem Beiboot antrat, um mit Hilfe zurückzukehren. Für die zurückgebliebenen brach eine Schreckensherrschaft anDer Unterkaufmann, der als bevollmächtigter Kaufmann der VOC ein genaues Bild darüber hatte, was die Batavia an Werten mit sich führte, scharte bewaffnete Männer um sich, die ihm gegenüber loyal waren, und zettelte eine Meuterei an, die ihn mit der Ladung der Batavia reich machen sollte. Weitere 125 Frauen, Männer und Kinder verloren ihr Leben. Als ein Rettungsschiff eintraf, bot sich ein Bild des Grauens. Die wenigen Soldaten, die noch lebten und an der Meuterei nicht beteiligt waren, konnten die Meuterer daran hindern, das Rettungsschiff zu entern und so kam es zur sofortigen Verurteilung und Hinrichtung einiger Meuterer. Die übrigen wurden in Java inhaftiert und zum Teil in den Niederlanden verurteilt. Fast alle Beteiligten sind dank der akribisch geführten Kirchen- und Gerichtsregister und Handelsbücher in den Niederlanden namentlich bekannt.
Wenn man aus der Gegenwart in die Vergangenheit blickt, sind es häufig diese Ereignisse, die ein Bild prägen. 


Cornelis van de Velde (Umkreis), Die Schlacht in den Downs im Oktober 1639 (Detail), 17./18. Jahrhundert | © Draiflessen Collection (Liberna), Mettingen (Foto/photo: Stephan Kube)

Verpflegung und Leben auf dem Schiff

Was aber war der übliche der „normale“ Zustand? Welche Entbehrungen musste man ertragen, und wie waren die Überlebenschancen während einer monatelangen Reise auf einem Segelschiff der VOC? 
Schauen wir uns die Ladelisten für den Proviant an, fällt ein für die Offiziere und Gäste überraschend reichhaltiges Speiseangebot auf: Honig, Trockenfrüchte, Getreide, Eier, Käse, Fleisch – auch lebende Tiere -, Alkohol, Gewürze und viel frisches Wasser gehörten ebenso dazu wie Spezialitäten; eingelegter Fisch, Gemüse und Obst, Marmelade, Tee und Mandelgebäck. Beim Speiseplan der Soldaten und den Besatzungsmitgliedern niedrigerer Ränge hingegen sah es etwas anders aus: salziger Gerstenbrei mit Bohnen oder Erbsen, einem Stückchen in Salzlake eingelegtem Fleisch oder Stockfisch, dazu ein Stück Brot. Abends aßen sie die Reste des Mittagsmahls. Je länger die Reise dauerte, desto mehr kämpfte man gegen das Verderben der Lebensmittel. Fleisch und Wasser waren häufig mit Maden befallen und mussten durch ein Tuch gesiebt werden, um überhaupt gegessen werden zu können. Vitaminmangel und dessen Folgen kamen sehr häufig vor, und die Angst vor Stürmen, dem Untergang des Schiffes oder feindlichen Überfällen war allen gemeinsam. Das betraf auch die besser gestellten Offiziere, hohen Herren und Gäste, die ihre Unterkünfte hinter dem Mast, also im „ besseren “ Teil des Schiffes, hatten.
Auch die Unterbringung auf einem Schiff dieser Klasse ist heute kaum noch vorstellbar. Schliefen die „ hinter dem Mast “ in zwar winzigen, aber mit allem, was sie benötigten, ausgestatteten Kabinen, und hatten sogar einen großen Gemeinschaftsraum für gemeinsames Essen, Spielen und Unterhaltung, führten die Besatzung und die Soldaten ein ganz anderes Leben. Zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern unter Deck, wo man häufig nicht aufrecht stehen konnte, schliefen sie auf strohgefüllten Säcken mit Filzdecken. Die Handwerker an Bord schliefen häufig bei ihren Werkplätzen, ebenso wie die Köche in ihrer Kombüse. Alle arbeiteten hart, und Unfälle waren an der Tagesordnung. Die Chance, von einer solchen Seereise lebendig nach Hause zurückzukehren, lag bei circa 60 bis 70 Prozent. Häufig fehlten die meisten Zähne, die wegen des Vitaminmangels und Skorbut ausgefallen waren, oder ganze Gliedmaße.

Es war also auch ohne eine dramatische Meuterei oder eine Havarie eine gefährliche Reise und alles andere als romantisch. 


 


Ein  Beitrag unserer Museumspädagogin Tanja Revermann.
Sie ist ist gelernte technische Zeichnerin, ausgebildet unter anderem in musealem Modellbau. Sie hat im Museum Varusschlacht Kalkriese als Guide gearbeitet, für dieses Ausstellungsmodelle gefertigt und das Kindermuseum aufgebaut. Parallel dazu hat sie sich, hauptsächlich in den Niederlanden, als Museumspädagogin ausbilden lassen. Als solche arbeitet sie seit 2010 im Team der Draiflessen Collection.

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