27.06.2018

Der Fall der Sterne – ein Zwischenbericht

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Nach gut drei Monaten, also mehr als der Hälfte der Ausstellungsdauer fanden wir es eine gute Idee, mal zu hören, wie unsere Besucher auf die Ausstellung reagieren. Sie ist ja nicht unbedingt als „leichte Kost“ zu bezeichnen, rührt sie doch inhaltlich an Urängste des Menschen. Herausgekommen ist ein buntes Kaleidoskop unterschiedlicher Anmerkungen, Erlebnisse und Reaktionen von Besuchern und Guides gleichermaßen. Das wollten wir teilen.

The Fall of the Stars: Entry | © Angela von Brill

… viele Sinne werden angesprochen

„Während meiner letzten Führung war eine zunächst eher kontrolliert wirkende Frau um die 60 Jahre sehr bewegt. Sie war regelrecht euphorisiert und teilte mir mit, wie überrascht sie über die Intensität der Ausstellung sei, die so viele Sinne angesprochen hätte. Trotz oder gerade wegen der konzentrierten Beschränkung auf drei Werke wären die Eindrücke für sie überwältigend gewesen. Ein denkbar schöner Abschluss für eine Führung!“ „Eine große Anzahl Besucher zeigt eine konzentrierte Ernsthaftigkeit in der Ausstellung verbunden mit einem großen, regelrecht gespanntem Interesse am Thema. Um die Aufmerksamkeit positiv zu halten, betone ich in allen drei Räumen bewusst den Dreiklang von Schöpfung, Zerstörung und Neuanfang und hebe besonders den Aspekt des positiven Neubeginns hervor. Mir scheint, dass die Mächtigkeit der Bilder, die Zerstörung und Kampfgeschehen zeigen, dadurch ein gutes, zuversichtliches Gegengewicht bekommen.“

The Fall of the Stars: Visitors | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Angela von Brill

Positive Reaktionen

„Die Gäste reagieren sehr positiv auf die Ausstellung. Bei Dürer beeindruckt vor allem die Kunst, die Holzschnitte, die im Original gezeigt werden. Auch der Reichtum an Details wird immer wieder hervorgehoben. Aber auch die Gerson-Reproduktionen verfügen über eine Fangemeinde und geben immer wieder Anlass zu interessanten Gesprächen, vor allem in Bezug auf Umwelt und Klima. Der Film erntet sehr viel Beifall: Die Bilder aus der Vogelperspektive beeindrucken; über die Menschen, die am Ende des Films wie in einem rituellen Tanz zusammenkommen und wieder auseinandergehen, spekulieren und debattieren die Gäste eifrig. So entstehen spannende Dialoge. In Bezug auf die Musik sind die Reaktionen unterschiedlich. Einige Gäste empfinden sie als zu laut (‚Kann die Musik nicht leiser geschaltet werden?‘), andere Gäste dagegen empfinden die Musik als die perfekte Ergänzung zu den Filmbildern.“


Für viele Besucher stellt das ausgestellte Buch Albrecht Dürers ein besonderes Aha-Erlebnis dar, kennen die meisten zumeist nur das eine oder andere populäre Motiv. In der Präsentation aller Blätter der Apokalypse wird ihnen dann der Zusammenklang der einzelnen Holzschnitte deutlich, was viele sehr erfreut.

The Fall of the Stars: Visitors | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Angela von Brill

Apokalypse – (k)ein Thema für Kinder?

Insbesondere Kinder zeigen sich von den Darstellungen Albrecht Dürers, von seinem Detailreichtum begeistert und entdecken oft wesentlich mehr Einzelheiten als die Erwachsenen, was für die jeweiligen Guides eine große Bereicherung ihres eigenen Blickes ist. Die Faszination der Bilder Dürers, aber auch der von Julian Rosefeldts filmischer Arbeit ziehen die Kinder in den Bann, sodass sie teilweise aus den Räumen „gezogen“ werden müssen.
Für uns ist das eine Bestätigung darin, dass die Ausstellungsthematik zumutbar für Kinder sein kann, wir aber selbstverständlich diese Entscheidung den Eltern und auch den Lehrern überlassen, die das für ihre Kinder am besten beurteilen können. 

Angesichts der stark vergrößerten, auf Holztafeln gezogenen Katastrophendarstellungen von Johannes Gerson bemerkte ein Mädchen aus einer achten Klasse resigniert: „Das hatten wir doch fast alles schon …“. Ein anderes Kind vermutete auf einer Tafel, die eine Überschwemmung zeigt, die Tsunami-Katastrophe in Thailand. Mit diesen und ähnlichen Situationen werden wir häufiger konfrontiert. Sie münden regelmäßig in lebendige Diskussionen und zeigen, dass den meisten Kindern das nicht immer positive Weltgeschehen präsent ist.

Dass es bei einer Führung trotz des ernsten Themas sehr lustig werden kann, zeigt folgender Bericht: Zu Besuch war eine Schülergruppe, deren Führung im Raum der Arbeiten Dürers startete. Das Gespräch führte zur Frage vonseiten der Guide an die Schüler, was denn ein „Märtyrer“ sei. Großes Schweigen setzte ein, bis schließlich ein Schüler antwortet: „Ein Auto“. Es hat einen Moment gedauert, bis klar wurde, dass er durchaus Recht hatte ...

The Fall of the Stars: guided tour with children | © Draiflessen Collection

Das Prinzip Hoffnung

Insbesondere Julian Rosefeldts künstlerische Vorstellung einer zukünftigen Apokalypse hat viele Besucher sehr berührt, und das sehr unterschiedlich:

„Fasziniert und kreativ denkend verließ eine Besucherin den Filmraum. Keineswegs niedergeschlagen orientierte sie sich im Gegenteil an dem Aspekt Hoffnung, den sie im Film erkannte. Sie plädierte dafür, kühlen Kopf zu bewahren, ‚bevor man das Kind mit dem Bade auskippt‘. Leider neige der Mensch in ausweglos scheinenden Situationen bisweilen zu Fatalismus, doch sie ließe sich positiv von Rosefeldts Kunst inspirieren. In den Kleinigkeiten des Alltags lägen für sie die Hoffnung und das Selbstvertrauen, Missstände zu verbessern. Es helfe schon, ‚wenn wir nur jede Plastiktüte mehrfach verwenden würden.‘“

„Der Film findet zunehmend Anerkennung und weckt Neugierde. Nach der Führung geht mancher extra zurück in den Film, weil er sonst das Gefühl habe, etwas verpasst zu haben.“

„Rosefeldts Film löst sehr widersprüchliche Gefühle bei den Betrachtern aus. Einerseits wird er als aufrüttelnd und kaum zu ertragen kommentiert, sodass fast ein ‚Fluchtimpuls‘ entstehe,  andererseits wird er als meditativ beschrieben. Viele Besucher fühlen sich nach dem gemeinsamen Betrachten des Films ‚wie in einer anderen Welt‘ und brauchen daher einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. Aber dann ist der Wissensdurst nach mehr Hintergrundinformationen groß: Es braucht zumeist nur eine kurze Aufforderung, bis die Besucher ihre eigenen Eindrücke und Gedanken schildern.“ 

Sowohl die Kuratorinnen als auch die Guides, die durch die Ausstellung führen, erleben diese auch als positive Herausforderung, mit den teilweise widersprüchlichen, mitunter auch heftigen Reaktionen oder Emotionen der Besucher umzugehen. Es lässt sie selbst ebenfalls nicht unberührt, wenn berichtet wird, der Film löse das Gefühl von Hoffnungslosigkeit aus, oder fast pragmatisch festgestellt wird, „das ist unser Erbe, das wir hinterlassen“ …

The Fall of the Stars: Guided Tour | © Draiflessen Collection, Foto/photo: Angela von Brill

Ein (überraschend) weites Feld

Johannes Gersons Holzschnitte sind gut 100 Jahre vor denen Dürers entstanden, wenn auch das Buch erst zu Lebzeiten Dürers veröffentlicht wurde. Der Unterschied zu Dürers „modernerem“ Stil ist sehr auffällig, die Darstellungen werden dennoch von vielen Besuchern – gesehen aus der heutigen Gegenwart – in ihrer einfachen, grafischen Sprache als überraschend zeitgemäß empfunden. Deutlich wird hier, wie entscheidend Sehgewohnheiten und Zeitalter den eigenen Blick beeinflussen und prägen.

An einer Führung nahmen auch indische Besucher teil, die insbesondere im Raum von Gerson großes Interesse an den einzelnen Motiven zeigten. Diese, die 15 Zeichen, sollten den Zeitgenossen Gersons klare Hinweise darauf geben, wie sie sich den Weltuntergang konkret vorzustellen hatten, an welchen Ereignissen sie diesen erkennen sollten. Unabhängig davon dass der Hinduismus keine einheitliche Strömung ist, basiert dieser auf der Vorstellung eines ewigen Kreislaufs von periodisch wiederkehrenden Weltenden, von Weltzeitaltern, die beginnen und wieder enden. Auch in dieser Auffassung folgt dem Weltuntergang immer ein Neuanfang, beginnt eine neue Schöpfung. Die Nähe zur biblischen Offenbarung war so überraschend wie spannend und erklärte auch das detaillierte Interesse vonseiten der Besucher – ein spannendes weiterführendes Thema … 

Johannes Gerson (detail) | © Draiflessen Collection

Mit großem Dank an die Kuratorinnen Iris Ellers und Andrea Kambartel, an die Museumspädagogin Tanja Frederike Revermann, an Annette Nagelmann-Knuf und an die Guides, hier insbesondere Eva Dankenbring, Thomas Hartmann, Hans Peterse und Ute Unterlöhner.

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