27.05.2020

Onkel Canterbumm – Stationen einer Karriere

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Die Werbefigur Onkel Canterbumm gewann in den 1930er- und 1950er-Jahren mit bunt illustrierten Kinderheften junge Kunden für C&A. Die Präsentation „Lieblingsstücke: Onkel Canterbumm – Wie eine Werbefigur ins Archiv kam“ zeigt eine Auswahl von Originaldokumenten zu dem sympathischen Seebären und ermöglicht anhand interaktiver Medienstationen Einblicke in ihre Archivierung.
Als Werbemittel bei C&A hat die Kinderheftreihe „CANTERBUMM erzählt Euch was“ der Verkaufsförderung und Kundenbindung gedient. Die unterhaltsamen Abenteuer des mitteilungsfreudigen Protagonisten sollten vornehmlich Kinder für die Produkte von C&A gewinnen und sie zum Besuch in den Filialen animieren.
Nach ihrer Wiederentdeckung in einem Lager der Werbeabteilung von C&A im Jahr 2007 hat die Zeitschrift eine zweite Karriere angetreten. Die Hefte um die weitgehend in Vergessenheit geratene Werbefigur wurden im Archiv der Draiflessen Collection aufgenommen und bald ergänzte ein weiterer Zugang mit Entwurfszeichnungen des Werbegrafikers Johannes Maria Schneider den Bestand.
Die Arbeitsschritte im Archiv umfassten das Umpacken der Unterlagen in archivgerechte Mappen und Kartons sowie die Lagerung unter stabilen klimatischen Bedingungen. Die Verzeichnung in einer Archivdatenbank für spätere Recherchen gehört ebenso zu der Arbeit der Archivar*innen wie die Auswertung der historischen Dokumente in Form von Ausstellungen und Publikationen.

Präsentationsansicht LIEBLINGSSTÜCKE: ONKEL CANTERBUMM | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge

Werbemittel bei C&A

Die ersten 35 Folgen der Kinderheftreihe erschienen von September 1936 bis September 1939. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Hefte wieder von Januar 1951 bis zur Doppelausgabe für Juli und August im Jahr 1957 in den Filialen von C&A verteilt. Sie sollten laut Rundschreiben der Geschäftsleitung bis zum fünften eines jeden Monats in den Kaufhäusern bereit liegen. Aus einem Sitzungsprotokoll zu Belangen der Werbeabteilung geht für das Jahr 1951 eine Auflage von 300.000 Stück hervor.  
Über die direkte Zielgruppe, Kinder im Alter bis etwa vierzehn Jahren, hinaus sollte die Werbewirkung auch auf die Eltern abfärben. Vermutlich haben so zahlreiche Familien das Erscheinen der neuen Hefte zum Anlass für einen Einkauf bei C&A genommen. Aus dem Protokoll der 38. Betriebsleiterversammlung von 1954 lässt sich ableiten, mit welchen Maßnahmen man die Attraktivität des Canterbumm in diesem Zusammenhang noch steigern wollte. Dazu gehörte die „stoßweise“ Ausgabe der druckfrischen Abenteuergeschichten und die Beschränkung  des Verteilungszeitraums auf vier bis fünf Tage.
In den Heften ist eine vielfältige Mischung von Berichten aus aller Welt, illustrierten Geschichten, Bastelanleitungen und Rätselseiten versammelt. Das „Seemannsgarn“ des Onkel Canterbumm kommt vor allem in den fantastischen Wendungen seiner kurzen Bildergeschichten zur Geltung. Als er beispielsweise von Piraten in einem Koffer auf hoher See ausgesetzt wird, transportiert ihn eine „Wasserhose“, die man sich als eine Mischung aus Wirbelsturm und Geysir vorstellen muss, zurück zu seinem Schiff (Folge 4, 1955). Bei anderer Gelegenheit reist er mit den Bewohnern eines „Steinzeitlandes“ auf dem Rücken eines Drachen in die Zivilisation der Großstadt. Zurück geht es dann allerdings wieder ganz realistisch mit einer Propellermaschine (Folge 4, 1957). Überhaupt ist Onkel Canterbumm gegenüber ungewöhnlichen Verkehrsmitteln vom Raumschiff bis zur Tiefseeglocke sehr aufgeschlossen.
Bei seinen Ausflügen ins Märchenland, zu den Steinzeitmenschen oder auf den Mond findet Onkel Canterbumm regelmäßig neue Freunde. Es verwundert nicht, dass er in derart exotischen Ländern als Botschafter von C&A auftritt und die neuen Bekannten kurzerhand neu einkleidet. Ob es um die Vorzüge der Eigenmarke „formtreu“ mit ihrer Tierhaareinlage oder die immer vorrätigen Übergrößen geht – Onkel Canterbumm informiert mehr oder weniger beiläufig über die Produktpalette des Textilkaufhauses.

Präsentationsansicht LIEBLINGSSTÜCKE: ONKEL CANTERBUMM | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge

Wiederentdeckung im Lager der Werbeabteilung

Die nach unseren Recherchen letzte Ausgabe von „CANTERBUMM erzählt Euch was“ aus dem Jahr 1957 enthält keine Abschiedsworte vonseiten der Werbefigur. Vielleicht haben sich treue Leser*innen in den Filialen von C&A noch für einige Zeit nach neuen Ausgaben erkundigt.Die Hefte wurden erst im März 2007 im Lager der Werbeabteilung von C&A wiederentdeckt. Im Rahmen des damaligen Umzugs der Hauptverwaltung in Düsseldorf sollten historisch wertvolle Unterlagen für  das Archiv der zu dem Zeitpunkt im Aufbau befindlichen Draiflessen Collection gesichert werden.
Der außergewöhnliche Fund löste mit seinen charmanten Geschichten und bunten Illustrationen große Begeisterung bei der Archivarin aus. Sie begnügte sich allerdings nicht damit, die Hefte in ihre neue, archivgerechte Umgebung mit alterungsbeständigen Archivmappen und klimatisierten Magazinräumen zu überführen. Ihr detektivischer Spürsinn wurde geweckt und sie förderte einschlägige Dokumente im bereits vorhandenen Archivbestand zu Tage. Neben Hinweisen in Protokollen und Rundschreiben der Hauptverwaltung von C&A entdeckte sie die Figur des Onkel Canterbumm in Lebensgröße in einer Filmdokumentation zur Eröffnung der Filiale in Bochum im Jahr 1951. Hier fungierte er unter dem Motto „Canterbumm im Kinder-Zoo“ als Teil der Schaufensterdekoration.
Einen weiterer bedeutsamer Zugang konnte 2015 verzeichnet werden. Christian Maria Schneider, der Sohn des Werbegrafikers Johannes Maria Schneider (19112005 ), überließ dem Archiv Entwurfszeichnungen aus dem Nachlass seines Vaters als Schenkung. Diese waren zur Illustration verschiedener Geschichten in den Kinderheften erschienen. Der in Mettingen geborene Johannes Maria Schneider war zunächst im  Zeichenbüro der Familie Brenninkmeijer in Amsterdam tätig gewesen. 1933 wechselte er in die Werbeabteilung von C&A nach Berlin, wo er unter anderem auch Illustrationen für die Heftreihe fertigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Schneider seine Arbeit für den Canterbumm wieder auf.
Zu der Schenkung gehörten darüber hinaus handgezeichnete Folien, die bei der Produktion des Werbetrickfilms „Komm mit mein Schatz“ eingesetzt worden waren, sowie der Film selbst.

Präsentationsansicht LIEBLINGSSTÜCKE: ONKEL CANTERBUMM | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge
Präsentationsansicht LIEBLINGSSTÜCKE: ONKEL CANTERBUMM | © Draiflessen Collection, Foto: Henning Rogge

„Nachleben“ im Archiv

In mancher Ausgabe der Kinderhefte um Onkel Canterbumm lässt sich etwas über die Eigenschaften der Produkte von C&A, ihre Herstellung und die Werbestrategie des Unternehmens erfahren. Die Auffassung der Werbetreibenden bezüglich des Lese- und Konsumverhaltens von Kindern (und Erwachsenen) in den 1930er- und 1950er-Jahren lässt sich aus ihnen ebenfalls ableiten. Diese Eigenschaften machen die Hefte so zu einer wertvollen Ergänzung des Archivs.
Im Selbstverständnis von Archivar*innen wird der Bewahrung historischer Dokumente großer Wert beigemessen. Die Zeugnisse der Vergangenheit sollen der Nachwelt möglichst lange in ihrem Originalzustand erhalten bleiben. Deswegen wurden konservatorische Maßnahmen mit der Unterstützung von Papier- und Fotorestaurator*innen an den Entwurfszeichnungen von Johannes Maria Schneider und den Originalfolien zum Werbetrickfilm „Komm mit mein Schatz“ eingeleitet.
Das „Nachleben“ der Hefte soll aber nicht nur in Form einer Verlangsamung der Alterungsprozesse von Papier und Filmfolien gesichert werden. Die Originale wurden zudem gescannt und in einer Archivdatenbank gespeichert. Hier finden alle zu ihnen gesammelten Informationen ihren Platz und die Datenbankeinträge werden mit bereits im Archiv vorhandenen Dokumenten zu Onkel Canterbumm verknüpft. Auf diese Weise lassen sie sich besser wiederfinden und alle zusammengetragenen Informationen über ihre Herkunft und die Umstände der Übernahme bleiben abrufbar.
Nach den Recherchen der Archivar*innen der Draiflessen Collection befindet sich ein kompletter Satz der erschienenen Kinderhefte in Mettingen. In Kombination mit Werbeartikeln, Hinweisen aus Besprechungsprotokollen und nicht zuletzt den Entwurfszeichnungen des Werbegrafikers Johannes Maria Schneider hat sich durch die Archivierung unser Blick auf Onkel Canterbumm verändert. Selbst die treuesten zeitgenössischen Leser werden nicht alle Hefte gelesen haben. Nun sind sie mit dem dazugehörigen Mikrokosmos aus historischen Spuren in einer Datenbank versammelt.


Die Präsentation ONKEL CANTERBUMM – WIE EINE WERBEFIGUR INS ARCHIV KAM stellt seine vorerst letzte Karrierestation dar. Dank der Archivierung in der Draiflessen Collection steht einer weiteren Auswertung – etwa im Vergleich mit anderen Werbefiguren – nichts im Wege.
Im Jahr 2017 erschien eine Ausgabe der Reihe OPEN UP! zu  den historischen Hintergründen der Kinderzeitschrift.


Jens Brokfeld, der Autor dieses Blog-Beittrags, gehört seit Mitte Oktober 2019 als Archivar zum Team der Draiflessen Collection. Zu seinen beruflichen Stationen zählen das Montanhistorische Dokumentationszentrum beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum und das Unternehmensarchiv der Bertelsmann SE & Co. KGaA. Er legte seinen Bachelor und Master an der Fachhochschule Potsdam in der Fachrichtung Archiv ab. Das Erststudium in den Fächern Englisch und Philosophie führte ihn nach Wuppertal, Canberra und Freiburg.

Kommentare

4.06.2020 - 16:08
Georg Menke
Sehr geehrte Damen und Herren, wieder ist Ihnen ein Volltreffer gelungen. Es macht Freude, auf digitalem Wege in den Archieven zu stöbern. Vielleicht können Sie ja ein öffentliches Dauerarchiev mit den ereits im Museum gezeigten Themen auf der Webseite anbieten, es würde viele Menschen immer wieder erfreuen. Ein Besuch bei Ihnen hat sich für uns immer gelohnt. Mit herzlichem Gruß Georg Menke
12.06.2020 - 08:30
Draiflessen Collection
Lieber Herr Menke, wir freuen uns sehr, dass Ihnen die Präsentation unseres Archivs und die Draiflessen Collection gefallen. Wir arbeiten immer weiter daran unser virtuelles Angebot zu erweitern und haben mit der digitalen Präsentation MODEBILDER, die ebenfalls Sammlungsmaterial zeigt, einen weiteren Schritt in diese Richtung gemacht! Vielen Dank für Ihre Anregungen. Ihr Team der Draiflessen Collection
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