31.08.2020

Modegeschichten der 1920er-Jahre
... zur Ausstellung MODEBILDER. Die 1920er-Jahre in C&A-Werbeanzeigen

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Mit MODEBILDER haben wir erstmalig ein rein digitales Format entwickelt, das ausschließlich auf unserer Homepage zu erleben ist. Diese Präsentation vermittelt interaktiv die Mode der 1920er-Jahre, macht die in dieser Zeit innovative Kleidungsproduktion von C&A erfahrbar und wirft einen konzentrierten Blick auf die Bekleidung für Damen, Herren und Kinder aus dieser Zeit.
Ein Dutzend Geschichten lassen in die Welt von Angebot und Werbung von C&A, aber auch grundsätzlich in die Welt der Mode der 1920er-Jahre eintauchen.

Gerne möchten wir Sie, möchten wir unsere Besucher*innen, einladen, eigene Modegeschichten der 1920er-Jahre zu erzählen! 
Die Werbeanzeigen werden noch lebendiger, wenn sie mit Fotografien der 1920er-Jahre und mit Geschichten aus dem Leben der Eltern, Großeltern, Tanten etc. in einen Dialog treten. 
Wir freuen uns auf Ihre Texte, Fotografien, Videos oder Audios. Bitte senden Sie diese an 
info@draiflessen.com. Gerne stellen wir sie für die Dauer der Ausstellung (bis 25. Oktober 2020) auf dieser Seite online. Ihre Namen nennen wir nur auf ausdrücklichen Wunsch!

Advertisement C&A 1920s, detail | © Draiflessen Collection

Mode auf dem Rennplatz

Seit dem Aufkommen von Papierabzügen in der Fotografie um 1900 schickten die Pariser Modeschöpferinnen und Modeschöpfer unter ihnen Paul Poiret oder Jean Patou, Madeleine Vionnet oder Jeanne Lanvin ihre Models zu den Rennplätzen in und um Paris, um die neuesten Moden vorzuführen. Fotografen wie die Brüder Seeberger oder Paul Géniaux haben ihre Abzüge beispielsweise an Stoff- oder Spritzenproduzenten verkauft. Für sie war es damals ein Stylebook, für uns heute bieten sie ein lebendiges Bild der damaligen Mode. Anders als in der Atelierfotografie wurden die Models in Bewegung, im Gespräch oder beim interessierten Zuschauen des Rennens fotografiert. Ich besitze mehrere solcher Alben, von Paul Géniaux alleine zwei mit über 700 Fotografien aus den Jahren 1922 und 1924. Davon hier eine kleine Auswahl.


Martin Kamer

Paul Génieux, Elegante Dame auf dem Rennplatz, 1922 | © Martin Kamer, Schweiz
Paul Génieux, Elegante Damen auf dem Rennplatz, 1924 | © Martin Kamer, Schweiz

Zu den Geschichten und Fotos unserer Besucher*innen:

Vier Schwestern

Die vier Töchter des Lehrerehepaars Hildegard und Bruno Herischek in Großenbaum 1929: Giesela, Wulfhild, Jutta und hinten Barbara.

Drei von ihnen wurden ebenfalls Lehrerinnen. Die Kleinste – meine Oma – machte eine Schneiderlehre, fertigte ihre eigenen Kleider für Turniertänze und wurde im Alter von 80 Jahren noch als Model für eine Fotografin tätig.

Sarah Büren-Vojnovic

Vier Schwestern, 1929 | © Sarah Büren-Vojnovic

Das Feh


Während ich durch die Ausstellung „Modebilder“ schmökere, erinnere ich mich an die Geschichte von Doris, die Irmgard Keun Anfang der 1930er-Jahre in ihrem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ meisterhaft erzählt. 

Die achtzehnjährige Doris, die zu Beginn des Buches als Sekretärin bei einem zudringlichen Rechtsanwalt tätig ist, träumt davon, ein „Glanz“ zu werden und für die Filmindustrie zu arbeiten. Neugierig auf das Leben und selbstbewusst im Benehmen geht sie mit zahlungskräftigen Herrn aus, die ihr ab und an etwas für ihre Garderobe spendieren. Denn Garderobe ist „eine große Sache für ein Mädchen, das weiter will und Ehrgeiz hat.“ 

Als eines Tages Hubert, ihre große Liebe, wieder in ihrem Leben auftaucht und sich mit ihr treffen will, weigert sich Doris, in ihrem alten Regenmantel vor ihm zu erscheinen. In der Garderobe des Theaters, in dem sie mittlerweile als Schauspielerin arbeitet, leiht sie sich ungefragt einen Pelzmantel aus. Grandios beschreibt Irmgard Keun die Szene der Begegnung der jungen Frau mit dem „Feh“, das ihr noch zum Verhängnis werden soll. „Da sah ich an einem Haken einen Mantel hängen – so süßer, weicher Pelz. So zart und grau und schüchtern, ich hätte das Fell küssen können, so eine Liebe hatte ich dazu. Es sah nach Trost aus und Allerheiligen und nach hoher Sicherheit wie im Himmel. Es war echt Feh. Zog ich leise meinen Regenmantel aus und den Feh an, und gegen mein alleingelassenes Regenstück bekam ich ein trauriges Gewissen, als wenn eine Mutter ihr Kind nicht will, weil es häßlich ist. Aber ich sah aus!“ Sofort entwickelt Doris eine starke körperliche Beziehung zum fremden Feh, als wäre es ihr Geliebte und Beschützer: „Und der Pelz war für meine Haut wie ein Magnet, und sie liebte ihn, und was man liebt, gibt man nicht mehr her, wenn man es mal hat. 
[…] Innen Futter aus Crêpe marocain, reinseiden mit handgestickt.“ Nach dem enttäuschenden Treffen mit Hubert ist der Mantel für Doris ein großer Trost:  „So hochelagant bin ich in dem Pelz. Der ist wie ein seltener Mann, der mich schön macht durch Liebe zu mir. Sicher hat er einer dicken Frau unrichtig gehört – einer mit viel Geld. Er hat Geruch von Schecks und Deutscher Bank. Aber meine Haut ist stärker, jetzt riecht er nach mir und Chypre – was ich bin, seit Käsemann mir großzügig drei Flaschen davon geschenkt hat. Der Mantel will mich, und ich will ihn, wir haben uns.“ Natürlich bringt Doris den Mantel nicht mehr in die Garderobe des Theaters zurück. Aus Angst, von der Polizei erwischt zu werden, flieht sie mit dem Feh nach Berlin. Dort erlebt sie viele Widrigkeiten und der Pelzmantel vermittelt ihr immer mehr das Gefühl, ihr sicherer Hafen zu sein. 

Gleichwohl kann er als Symbol für falsche Hoffnungen einer mutigen jungen Frau verstanden werden, die in den widersprüchlichen 1920er-Jahren die Welt erobern will.

Olesja Nein

Alle Zitate stammen aus: Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen, Berlin 162018, S. 11, 61, 62, 64.

Cover Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen | © Olesja Nein

Die erste weiß gekleidete Braut in Ascheberg

Meine Oma war bestimmt Dorfgespräch! Da heiratet sie auf einen Bauernhof, stammt auch nicht aus „den  besseren Kreisen“, sondern ebenfalls von einem Bauernhof und traut sich vor allen anderen im Ort, die erste Braut im weißem Kleid zu sein. Die Hochzeit war 1919 oder 1920, da war ein weißes Brautkleid  noch eine Ausnahme. Ich zolle ihr großen Respekt für ihren Mut, so modisch zu sein. 

Dabei wollte sie eigentlich gar nicht heiraten, sondern ins Kloster gehen. Dieser Entschluss geriet ins Wanken, als mein Großvater ihr einen Heiratsantrag machte. Zur Entscheidungsfindung suchte sie daraufhin einen weisen Mönch auf, der für gute Ratschläge bekannt war. Er riet ihr zur Eheschließung, damit würde sie auch ein gutes Werk tun, und sie folgte seinen Worten geradeaus ins Rampenlicht des Dorfes.

Ich kann mich erinnern, dass sie auch später sehr auf gute Kleidung achtete. Sie fuhr regelmäßig mit dem Zug nach Münster, und wir beiden Mädchen – meine ältere Schwester und ich - durften mit in die große Stadt. Mit Hut und Handtasche, zuweilen auch mit Handschuhen. Zuerst in die Kapelle zum Beten, aber dann in die Geschäfte.

Rita Rose

Elisabeth Beckendorf, geb. Post und Bernhard Beckendorf, Ascheberg 1919 oder 1920 | © Rita Rose

Ein Gang in die Stadt

Meine Mutter wuchs in den 20er Jahren am Osnabrücker Stadtrand auf. Für einen Besuch der Innenstadt war es für die Familie selbstverständlich, zu Fuß zu gehen. Das bedeutete einen halbstündigen Fußmarsch für die damals 3-jährige Irmgard. 

Die Fotografie zeigt meine Großmutter mit ihren beiden Töchtern sowie eine Verwandte aus Bochum, die im Juni 1928 zu Besuch war. Wir sehen sie hier bei einem Gang in die Stadt, für den sich alle schick gemacht hatten. Die ältere Schwester trägt eine damals übliche Schulmütze der Möser Mittelschule.  

Dr. Wieland Wienkämper

Gang in die Stadt Osnabrück im Juni 1928 | © Dr. Wieland Wienkämper

Brautmodenwandel im Tecklenburger Land

Das schwarze Brautkleid war noch bis lange nach dem ersten Weltkrieg hier bei uns auf dem Land üblich. Praktischerweise konnte man es anschließend noch als "bestes Kleid" für besondere Anlässe weiter tragen. Nach und nach setzte sich dann aber doch das weiße Brautkleid auch hier im ländlichen Raum durch. Es wurde immer erzählt, dass viele Mettinger Mädchen, die bei den Tüöttenfamilien in den Großstädten in Stellung waren, manch neue Mode nach Mettingen brachten und so ein ums andere Mal für Aufsehen sorgten.

Das Bild zeigt Verwandte meiner Familie, die als ehemalige Tüötten Kaufleute in Zwolle waren. Sie schickten mit einem Brief diese Atelieraufnahme, auf dem die junge Braut ein relativ kurzes, weißes Brautkleid trägt, das muss in den zwanziger Jahren gewesen sein, als in Mettingen noch überwiegend in schwarz geheiratet wurde.

In unserer Familie wurde immer erzählt, dass mein Großvater Hieronymus, als er bei seinem Bruder Trauzeuge sein sollte, gesagt haben soll: "Nieben so een wittet Gespenst will ick nich staun!" ("Neben so einem weißen Gespenst will ich nicht stehen!") , denn die zukünftige Schwägerin hatte sich ein modernes, weißes Brautkleid nähen lassen. Es war also wirklich Aufsehen erregend und wie so oft, wird das Neue erst mal mit Skepsis betrachtet!
Als er selbst dann 1932 heiratete, trug seine Braut Paula - inzwischen ganz selbstverständlich- ein weißes Brautkleid!

Annette Nagelmann-Knuf

Brautpaar, 1920er-Jahre, Zwolle | © Annette Nagelmann-Knuf

Reisen in europäische Metropolen der 1920er-Jahre: Die Romane "Maskeraden" und "Scharaden" von Walter Satterthwait

Inspiriert von der aktuellen Online-Ausstellung „Modebilder“ habe ich mir drei „alte Lieblinge“ aus dem Bücherregal hervorgeholt, und zwar die Trilogie des am 26. Februar dieses Jahres verstorbenen amerikanischen Autors Walter Satterthwait. Diese Whodunit-Krimis nehmen uns mit an verschiedene Orte im Europa der 1920er-Jahre: „Eskapaden“ (1995) spielt 1921 auf einem Landgut im britischen Devon, „Maskeraden“ (1998) 1923 in Paris und „Scharaden“ (2005) in Berlin, ebenfalls im Jahr 1923. Insbesondere die beiden Bände, die in den Metropolen Berlin und Paris spielen, atmen den Geist einer Zeit der Versprechungen, der Modernisierung, der neuen Möglichkeiten – aber dunkle Wolken ziehen auf.

Hier ermitteln die amerikanischen Pinkerton-Detektive Phil Beaumont und Jane Turner auf ihre unnachahmliche Weise und begegnen dabei auch schillernden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. In „Maskeraden“ recherchieren die Protagonisten beispielsweise in literarischen Salons, in Jazzschuppen, mondänen Nachtclubs und vornehmen Cafés. Sie (und damit auch wir Leser) machen die Bekanntschaft von Erik Satie, Ernest Hemingway, Picasso, Gertrude Stein oder auch James Joyce. Bei diesen Begegnungen dabei zu sein und die fein beobachteten Beschreibungen und geschliffenen Dialoge, gespickt mit Verweisen auf damalige Moden und kulinarische Vorlieben, mitzuverfolgen, ist so vergnüglich und manchmal schreiend absurd, dass die Auflösung der Kriminalfälle schon beinahe zur Nebensache geraten könnte.

Mein Versuch, ein Zitat herauszusuchen, das einen Eindruck von Satterthwaits charakteristischem, intelligent-ironischem und mit Understatement eingefärbtem Humor vermitteln könnte, ist daran gescheitert, dass es in seinen Romanen davon nur so wimmelt.

Obwohl „Escapades“ 1996 mit dem Prix du Roman d’Aventures ausgezeichnet wurde, sind mir die beiden anderen Bände deutlich stärker in Erinnerung geblieben (… was natürlich auch damit zusammenhängen könnte, dass seitdem einfach mehr Zeit vergangen ist). Die drei Bände dieser Trilogie funktionieren jedenfalls auch jeder für sich ganz wunderbar. Bliebe vielleicht noch zu sagen, dass es sich empfiehlt, die englischen Originale zu lesen, um möglichst nah am Charme und Esprit der Sprache Satterthwaits zu sein.

Kurz gesagt: perfekte Unterhaltung für den kommenden Sommer, und ich freue mich schon darauf, diese Wiederentdeckung an lauen Abenden zu genießen!

Britta Lammers

Buchtipps | © privat

Die „Neue Frau“

Meine Mutter ist 1913 geboren und hat auch noch ein bisschen die Zwanziger mitbekommen. Leider habe ich nicht genug gefragt. Aber sie erzählte, dass die meisten ihrer Freundinnen, sie auch, arbeiteten, mehrere rauchten, sehr selbstständig waren, die Haare kurz trugen und öfter deren Farbe wechselten und viele der Ansicht waren, ein Kind ja, aber wozu einen Mann? 

Es ist für die Frauen, auch wenn sie nicht zur Oberschicht gehörten, eine Umbruchszeit gewesen. Sie brachen mit der Rolle, die ihre Mütter noch klaglos einnahmen.

Dr. Reingard Neumann


 

In kurzen Hosen zur Schule

Mein Vater besuchte die Lutherschule in Castrop-Rauxel. In kurzen Hosen und hellen Strümpfen steht der 15-Jährige rechts, lässig auf die Knie eines Freundes gelehnt. Es ist das einzige Foto, das ihn in jungen Jahren zeigt und deshalb für mich besonders wertvoll.


Christian Jacobi

Lutherschule, Castrop-Rauxel, 1929 | © Christian Jacobi
Dete Deseler, Berlin, 1925 | © Dorothea Reichert

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