15.08.2018

Soundtrack zum „Fall der Sterne“ – Teil 2: Schöpfung

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In der Ausstellung „Der Fall der Sterne“ werden drei künstlerische Vorstellungen vom Weltende und einer Zeit danach gezeigt. Sie verbinden sich zu einem Spannungsfeld zwischen Schöpfung, Zerstörung und Neuanfang. Um den Besucherinnen und Besuchern einen sinnlichen und emotionalen Zugang zu den Themen „Schöpfung“ und „Offenbarung“ zu ermöglichen, gibt es Medienstationen mit Musikstücken zu diesen Themen.

Die Begeisterung unserer Besucherinnen und Besucher über die Medienstationen war sehr groß. Es wurde oft nachgefragt, ob es die Musikauswahl nicht auch als CD zu kaufen gebe, sodass wir uns entschieden haben, sie auf der Homepage online zu stellen. Aber um welche Musikstücke handelt es sich denn eigentlich? Gibt es zu ihnen vielleicht besondere Geschichten? Und warum hat der Musikjournalist Thomas Gilbert sie überhaupt ausgewählt?

Hier nun der zweite Teil unseres „musikalischen“ Blogbeitrags – die Schöpfung (hier geht es zum ersten Teil 
– die Offenbarung):

Medienstation Schöpfung "Der Fall der Sterne" | © Draiflessen Collection

Die „zweite Schöpfung“

Der österreichische Komponist Joseph Haydn (1732–1809) arbeitete von 1796 bis 1798 an seinem Oratorium „Die Schöpfung“. Wie der Name schon verrät, handelt es von der Erschaffung der Welt, wie sie in der Bibel erzählt wird. Allerdings folgt statt des siebten Tages, an dem Gott sein vollendetes Werk betrachtet, eine Schilderung der ersten Menschen im Paradies. Nachdem Haydn nicht mehr als Hofkapellmeister arbeitete und pensioniert wurde, reiste er zwei Mal nach London. Von den dort gesehenen Oratorien Georg Friedrich Händels (1685–1759) angeregt, wollte er etwas Ähnliches komponieren. Haydn arbeitete sehr hart und sehr lange an diesem Werk und machte währenddessen laut eigener Aussage eine grundlegende religiöse Erfahrung.

Nachdem die Premiere einmal verschoben wurde und schon von einigen beteiligten Musikern die „Herrlichkeiten dieses Tonwerkes“ unter der Bevölkerung verbreitet wurden, war die Spannung auf das Werk groß. Schließlich fand am 30. April 1798 in Wien unter Haydns Leitung vor geladenem Publikum die erste Aufführung statt. Danach konnte Haydn noch einige Korrekturen vornehmen, um das Oratorium schließlich am 19. März 1799 erstmals öffentlich im ausverkauften alten Burgtheater aufzuführen. Das Werk galt schon zu Lebzeiten Haydns als „zweite Schöpfung“ und war so erfolgreich, dass der Komponist den Übersetzungen in andere Sprachen zustimmte, damit es in vielen Ländern Europas aufgeführt werden konnte. Die Beliebtheit ist nicht nur durch die allgemeingültige Ausrichtung des Werks (gläubige Christen fühlten sich in ihrem Gotteslob bestätigt, für Aufklärer und Freidenker konnte das Oratorium Anlass zu einer der Schönheit und Zweckmäßigkeit der Welt zugewandten Lebensfreude sein) zu erklären, sondern auch durch die in Europa wütenden Napoleonischen Kriege (1799–1815). Die Menschen sahen in der von Haydn musikalisch so freudestrahlend und optimistisch dargestellten Welt die hoffnungsvolle Zukunft, die auf das unsagbare Leid auf den Schlachtfeldern folgen würde. Auch nach Haydns Tod wird seine „Schöpfung“ als eines der wenigen vor 1800 entstandenen Werke bis heute immer wieder aufgeführt. In jüngster Vergangenheit auch bei der Ruhrtriennale in Zusammenklang mit Julian Rosefeldts „In the Land of Drought“ (siehe Blog #12).

Der Klassiker

Richard Strauss (1864–1949) verfasste 1895 „Also sprach Zarathustra“ (Op. 30), frei nach Friedrich Nietzsches (1844–1900) gleichnamigen Werk. Ob Strauss sich allerdings von Beginn an an Nietzsche orientierte, ist unklar. Anhand des Manuskripts wird deutlich, dass ihn auch Goethes „Faust“ zu seinem Werk inspirierte. Die Uraufführung fand am 27. November 1896 unter Leitung des Komponisten in Frankfurt am Main statt.
Seit Ende der 1960er- bzw. Anfang der 1970er-Jahren erfreut sich das Stück besonderer Beliebtheit: Die Rockband Deep Purple nutzte das Anfangsmotiv für den 1968 erschienen Song „River Deep, Mountain High“. Ab 1971 ließ Elvis Presley (1935–1977) das Stück als triumphale Einleitung jedes seiner Konzerte spielen. 1973 erschien eine jazzige Big-Band-Version. Heute ist das Stück – insbesondere die ersten 22 Takte – wohl nicht nur unter Klassik-Fans berühmt, sondern spätestens durch den Film „Odyssee im Weltraum“ weltweit bekannt. Auch in zahlreichen anderen Filmen und Serien taucht das Stück immer wieder auf: z. B. in „Alf, „The Big Bang Theory“ und „WALL-E – Der Letzte räumt die Erde auf“.

Nicht nur Beiwerk

Sergio Leones (1929–1989) Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ (Originaltitel „C’era una volta il West“, 1968), aber auch die dazugehörige Filmmusik ist wohl den meisten Menschen bekannt und gilt daher heute als eine der berühmtesten Filmmusiken aller Zeiten. Sie stammt von Leones ehemaligen Schulkameraden: dem italienischen Komponisten und Dirigenten Ennio Morricone (*1928).

Musik ist in Filmen ein wichtiger Bestandteil, um das Geschehen zu untermalen und zu verstärken. Für einen Soundtrack werden oft bereits vorhandene Titel zusammengestellt, für Blockbuster wird zum Teil nach dem Dreh ein Haupttitel geschrieben. Bei „Spiel mir das Lied vom Tod“ war es anders: Mehr als vielleicht in anderen Filmen ist die Musik mit der Handlung verwoben, sind Musik und Film aufeinander abgestimmt. So erhielt jeder Protagonist und jede Protagonistin eine eigene Melodie, und es gibt Szenen, die nur zum Rhythmus der Musik kreiert wurden. Morricone schrieb den kompletten Soundtrack bereits vor Drehbeginn – eine für damalige Verhältnisse sehr ungewöhnliche Vorgehensweise. Leone konnte so bereits während des Drehs die Musik abspielen, um die perfekte Stimmung am Set zu erreichen.

Übrigens: Wie Morricone in einem Interview verriet, ärgere es ihn, dass er oft nur mit Italo-Western-Musik in Verbindung gebracht wird, denn er selbst könne den Soundtrack zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ kaum noch hören.
Trotz des großen Erfolgs des Films und auch der Filmmusik wurde der Soundtrack erst vier Jahre nach Erscheinen des Films auf Vinyl herausgebracht – dann auch noch auf 13 von 27 Titeln zusammengekürzt. Die „Expanded Edition“ mit allen Titeln erschien erst rund 30 Jahre später: Wie heißt es dazu passend im Film „Hast du auf mich gewartet?“ „Ja, viel zu lange!“.

Medienstation Schöpfung "Der Fall der Sterne" | © Draiflessen Collection

Die Auswahl

Ausgewählt wurden zehn der 14 Musikstücke von dem Musikjournalisten Thomas Gilbert. Die einzige Vorgabe war, dass zum einen Kompositionen aus dem Bereich der Klassik dabei sein sollten und zum anderen auch aus der Populärmusik. Den größten Teil der Auswahl hat er, wie er sagt, aus dem Bauch heraus ausgewählt und sich also von seinem Gespür leiten lassen.

Für ihn stand von Anfang an fest, dass Max Richters Mash Up des Songklassikers „This Bitter Earth“ von Dinah Washington mit seiner eigenen Komposition „On The Nature Of Daylight“ ein Teil der Medienstationen zur Offenbarung werden soll. Durch die Verbindung der beiden Stücke wird der Song zu einer Hybride aus Klassik und Pop. Zu hören ist das Stück im Abspann zu Martin Scorceses Film „Shutter Island“, für den diese Arbeit wahrscheinlich entstanden ist. „Lord, this bitter earth/Yes, can be so cold/Today you’re young/Too soon, you’re old.“ In wenigen Zeilen werden hier die existenzielle Einsamkeit des Menschen und seine Vergänglichkeit auf den Punkt gebracht. Die tiefe Traurigkeit dieses Stücks hat für Gilbert durchaus ein apokalyptisches Element.

Wir leben in Kreisläufen. Die Schöpfung ist ein Neubeginn so wie jeder Tag im Grunde genommen eine neue Schöpfung ist. Der Beginn der Schöpfung wird in gewisser Weise jeden Tag durch die Morgendämmerung symbolisiert. Daher war „Dawn“, der Opener des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 2016 des in Berlin lebenden australischen Musikers Ry X, ein schönes Fundstück, das den musikalischen Schöpfungszyklus wunderbar eröffnete. „Dawn of Men“ nannte Stanley Kubrick auch den ersten Teil seines Science-Fiction-Films „2001 – Odyssee im Weltraum“, der zu den Klängen von Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ mit kraftvollen Bildern den evolutionären Schritt vom Affen zum Menschen darstellte. Ein Schöpfungsakt nicht im religiösen, sondern eher im evolutionstheoretischem Sinn. Um Schöpfung geht es auch in Ridley Scotts „Blade Runner“, der anhand des Schicksals von Androiden der philosophischen Frage nachgeht, was den Menschen zum Menschen macht. Dass die Replikanten menschlicher bzw. mitfühlender sind als die Menschen selbst, wird auch in der Fortsetzung „Blade Runner 2049“ verhandelt. Auch in „Spiel mir das Lied vom Tod“ geht es um Neubeginn und Untergang, Schöpfung und Apokalypse. Während die Welt des Wilden Westens mit seinen Revolverhelden dem Tod geweiht ist, gehört Jill, die, nachdem ihre Familie ausgelöscht wurde, mit dem Bahnhof in Sweetwater einen vielversprechenden Neubeginn wagt, die Zukunft. Die Aufbruchsstimmung in Ennio Morricones „Jill’s Theme“ ist so greifbar wie der Zustand der Unschuld in „In Paradisum“ von Gabriel Fauré.

Ein herzliches Dankeschön an Thomas Gilbert für die Mithilfe.

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