15.08.2018

Soundtrack zum „Fall der Sterne“ – Teil 1: Offenbarung

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In der Ausstellung „Der Fall der Sterne“ werden drei künstlerische Vorstellungen vom Weltende und einer Zeit danach gezeigt. Sie verbinden sich zu einem Spannungsfeld zwischen Schöpfung, Zerstörung und Neuanfang. Um den Besucherinnen und Besuchern einen sinnlichen und emotionalen Zugang zu den Themen „Schöpfung“ und „Offenbarung“ zu ermöglichen, gibt es Medienstationen mit Musikstücken zu diesen Themen.


Die Begeisterung unserer Besucherinnen und Besucher über die Medienstationen war sehr groß. Es wurde oft nachgefragt, ob es die Musikauswahl nicht auch als CD zu kaufen gebe, sodass wir uns entschieden haben, sie auf der Homepage online zu stellen. Aber um welche Musikstücke handelt es sich denn eigentlich? Gibt es zu ihnen vielleicht besondere Geschichten? Und warum hat der Musikjournalist Thomas Gilbert sie überhaupt ausgewählt?


Hier nun der erste Teil unseres „musikalischen“ Blogbeitrags – die Offenbarung (die Schöpfung wird im zweiten Teil behandelt):

Medienstation Offenbarung "Der Fall der Sterne" | © Draiflessen Collection

Verschleierung der Urheberschaft und Mythenbildung

Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) 1791 entstandenes „Requiem“ in d-Moll war seine letzte Komposition. Heutzutage ist es eines seiner beliebtesten und wohl am höchsten geschätzten Werke. Nur zwei Drittel des Werks stammen von Mozart selbst, den Rest des Requiems vervollständigten Joseph Eybler (1765–1846) und Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) nach Mozarts Tod. Dass lange Zeit nicht klar war, wer der Auftraggeber war, hat zu der Mythenbildung um dieses Werkt beigetragen. 1791 wurde Mozart durch einen Vermittler von dem Grafen Franz von Walsegg (1763–1827) mit der Komposition eines Requiems beauftragt. Die Hälfte der Bezahlung erhielt er bereits im Voraus. Allerdings erkrankte er während der Arbeit an der Komposition schwer und hatte bis zu seinem Tod am 5. Dezember 1791 erst einen Teil des Requiems niedergeschrieben.

Mozarts Witwe Constanze (1762–1842) war daran interessiert, die Komposition abzuschließen, um die Vorauszahlung nicht zurückzahlen zu müssen und um die zweite Hälfte der Bezahlung zu erhalten. Daher beauftragte sie zunächst Joseph Eybler mit der Fortsetzung, der vermutlich Hilfe von weiteren Komponisten bekam. Dieser gab den Auftrag nach kurzer Zeit jedoch aus unbekannten Gründen zurück. Danach beauftragte Constanze Mozart den jungen Komponisten und Schüler Mozarts: Franz Xaver Süßmayr, der auf Eyblers Ergebnisse sowie vermutlich auch auf Notizen von Mozart selbst zurückgreifen konnte. Eybler schrieb seine Ergänzungen direkt in Mozarts Partitur, und Süßmayr fertigte eine „Ablieferungspartitur“ an, die er mit der Datierung 1792 sowie Mozarts Unterschrift versah und über einen Boten an den anonymen Auftraggeber liefern ließ. Die Uraufführung fand am 2. Januar 1793 in Wien statt. Einige Jahre nach Mozarts Tod erschien eine ausführliche Biografie, in der das „Requiem“ bereits Erwähnung findet. Kurz danach bekundete der Verlag Breitkopf & Härtel bei Constanze Mozart Interesse an einer Veröffentlichung. Nach Rücksprache mit Süßmayr – der offensichtlich nicht darauf bestand, als Autor erwähnt zu werden – erschien die Partitur 1800 mit der Angabe Mozarts als alleinigem Verfasser.

Um die Entstehung des „Requiems“, den anonymen Auftraggeber und den frühen Tod Mozarts rankten sich fast von Beginn an einige Legenden. Ein Zeitungsartikel von 1798, in dem der Autor behauptet, Mozart habe Tag und Nacht an dem Werk gearbeitet, da er das „Requiem“ für seine eigene Totenfeier erstellt habe (in: Allgemeine musikalische Zeitung, 1 [1798|99], Sp. 147–151; hier zitiert nach Konrad, vgl.), wurde später vielfach aufgegriffen und immer weiter ausgeschmückt. Durch den Vergleich Mozarts mit dem italienischen Künstler Raffael bekam Mozart im Laufe des 19. Jahrhunderts den Ruf, alles, was er anfasste, besonders zu machen – das „Requiem“ gilt in diesem Zusammenhang auch als Passion Mozarts. Zusätzlich entwickelte es sich zu einer „Staatskomposition“, die zu vielen feierlichen Anlässen gespielt wurde. Heutzutage ist das „Requiem“ nicht mehr nur eine liturgische Komposition, die öffentlich aufgeführt wird, sondern sie wird für Soundtracks von Filmen oder Computerspielen genutzt oder von Bands in einer anderen Stilrichtung gecovert.

Vom Ruhm zur Unbekanntheit

Für Komponisten waren die vier letzten Dinge – Tod, Gericht, Himmel und Hölle – aus der Johannesoffenbarung eine gute Vorlage für dramatische Kompositionen – so auch für Louis Spohr (1784–1859). Lange Zeit war er in Vergessenheit geraten, und auch heute ist er eher unbekannt, dabei war der Komponist  zu Lebzeiten einer der bedeutendsten deutschen Komponisten und wurde sogar im Ausland gefeiert. Sein zweites Oratorium „Die vier letzten Dinge“ entstand von 1825 und 1826 und wurde am Karfreitag 1826 in der Kasseler Martinskirche uraufgeführt.

Spohr nutzte für seine Vertonung einen Text von Friedrich Rochlitz. Seine Apokalypse wirkt eher tröstlich und nicht bedrohlich, wenn man sie beispielsweise mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Dies-irae“ aus dem Requiem d-Moll und Giuseppe Verdis (1813–1901) „Dies-irae“ aus der Messa da Requiem vergleicht. Aus Spohrs Autobiografie geht hervor, dass er in seiner Komposition alles Opernhafte, Schwülstige und Schwierige vermeiden wollte, um einen „wahren, frommen Ausdruck“ zu erreichen. Daher erscheinen „Die vier letzten Dinge“ dem Hörer weniger theatralisch, sondern zarter. Die Musik ist eine Mischung aus klassizistischer und frühromantischer Klangsprache.

Kriminalfall in der Musikgeschichte

Das „Adagio“ g-Moll wurde 1958 von dem italienischen Musikwissenschaftler und Komponisten Remo Giazotto (1910–1988) herausgebracht. Eine Komposition für Streicher und Orgel, die angeblich auf Fragmenten des italienischen Komponisten Tomaso Albinonis (1671–1751) basiere. Heute gehört es zu den berühmtesten Werken der klassischen Musik.

Bis 1958 ahnte noch niemand etwas von dem „Adagio“, dann tauchte es plötzlich auf. Giazotto veröffentlichte es und behauptete, er habe von der Staatsbibliothek Dresden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg das Fragment eines Musikstücks von Albinoni erhalten und es vervollständigt. Kurz zuvor habe er an einem Verzeichnis der Werke Albinonis gearbeitet und dieses Fragment unmittelbar nach der Veröffentlichung der Monografie erhalten. Allerdings wird sowohl auf dem Titel des „Adagios“ als auch im Vorwort ganz klar Giazotto als Komponist genannt. Kurz nach der Veröffentlichung wurde aber bereits fast immer Albinoni als Komponist genannt. Giazotto tauchte lediglich als Bearbeiter auf oder wurde ganz weggelassen.

In der Musikwissenschaft begann man in den 1960er-Jahren mit der Recherche nach der Originalquelle. Diese konzentrierte sich auf die Staatsbibliothek Dresden, die schließlich feststellte, dass sich das „Adagio“ nicht in ihrem Bestand befinde und auch nie in ihrem Bestand befunden habe. Die Schlussfolgerung der Bibliothek war, dass Giazotto demnach der Komponist des Stückes sei.
Nach dem Tod Giazottos fand seine Assistentin in seinem Nachlass die Kopie einer Fotografie eines handschriftlichen Notenblatts, das Giazottos Beschreibung des Fragments entsprach. Allerdings wurde festgestellt, dass es nicht zu Lebzeiten Albinonis, sondern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sein muss.

Ob es sich wirklich um eine Komposition Albinonis handelt, bleibt also weiter offen.

Medienstation Offenbarung "Der Fall der Sterne" | © Draiflessen Collection

Die Auswahl

Ausgewählt wurden zehn der 14 Musikstücke von dem Musikjournalisten Thomas Gilbert. Die einzige Vorgabe war, dass zum einen Kompositionen aus dem Bereich der Klassik dabei sein sollten und zum anderen auch aus der Populärmusik. Den größten Teil der Auswahl hat er, wie er sagt, aus dem Bauch heraus ausgewählt und sich also von seinem Gespür leiten lassen.


Für ihn stand von Anfang an fest, dass Max Richters Mash Up des Songklassikers „This Bitter Earth“ von Dinah Washington mit seiner eigenen Komposition „On The Nature Of Daylight“ ein Teil der Medienstationen zur Offenbarung werden soll. Durch die Verbindung der beiden Stücke wird der Song zu einer Hybride aus Klassik und Pop. Zu hören ist das Stück im Abspann zu Martin Scorceses Film „Shutter Island“, für den diese Arbeit wahrscheinlich entstanden ist. „Lord, this bitter earth/Yes, can be so cold/Today you’re young/Too soon, you’re old.“ In wenigen Zeilen werden hier die existenzielle Einsamkeit des Menschen und seine Vergänglichkeit auf den Punkt gebracht. Die tiefe Traurigkeit dieses Stücks hat für Gilbert durchaus ein apokalyptisches Element.


Die Offenbarung ist die Antipode zur Schöpfung. Die Darstellung der Apokalypse hat die Kunst schon immer gereizt. Mit „Apocalypse Now“ ist es Francis Ford Coppola 1979 gelungen, die Hölle auf Erden in einem Kriegsfilm darzustellen, dessen beeindruckende Bilder bis heute wie ein psychedelischer Drogentrip wirken. „The End“ von den Doors passte wie kein anderer Song hervorragend zu dem Film und gilt zu Recht als musikalischer Endzeitklassiker par excellence. So wie Coppolas Film Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ frei interpretierte, basiert auch der Film „The Road“ auf einer literarischen Vorlage, auf Cormac McCarthys gleichnamigem Endzeitroman. Nick Cave ist es mit seinem musikalischen Kompagnon Warren Ellis gelungen, die düstere Atmosphäre des Films kongenial musikalisch umzusetzen. Albinonis respektive Giazottos „Adagio in G Minor“ passt ebenso wie Mozarts Requiem brillant zur musikalischen Untermalung der letzten Dinge. Doch wie heißt es so schön: Jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne. Der Kreislauf beginnt von neuem.

Ein herzliches Dankeschön an Thomas Gilbert für die Mithilfe.

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